Der neue Glossenhauer
2. Juni 2023
War der Nachruf in Zeiten vor den Sozialen Medien ein rein journalistisches Genre, darf jetzt jeder Mensch nicht zu allem, sondern auch nach jedem etwas sagen. Oder posten. Das Post-Post könnte man es nennen.
Dass sich Kolleginnen und Kollegen in Respekt verabschieden, gehört freilich zu den guten Umgangsformen. So berichtete etwa das Ö1-Mittagsjournal über die letzte Nationalratssitzung der scheidenden SPÖ-Chefin von freundlichen Wortmeldungen der Fraktionen in Richtung Rendi-Wagner von den Grünen, den Neos und sogar von der ÖVP. Die FPÖ wurde im Beitrag nicht genannt. Kein Wunder, steht die Abkürzung ja sicher nicht für "freundlich parlieren in der Öffentlichkeit".
Was soll’s, Frau Rendi-Wagner wird es verschmerzen. Die ist Schlimmeres gewohnt aus der eigenen Partei. Und sie wird wahrscheinlich verschont bleiben von der Kombination ganz privater Erinnerungen und ihrem beruflichen Werdegang wie sie zum Ableben von Tina Turner auf Twitter, Facebook und anderen Plattformen der organisierten Schwarm-Idiotie zu finden waren.
"Ich weiß noch genau, wie ich damals bei meinem ersten Festival in Oberösterreich war. Ich war 15 und mein Freund hatte gerade mit mir Schluss gemacht. Danach hab ich mich angesoffen, hinters Zelt gekotzt und musste dann von der Rettung ins Spital gebracht werden. Und wie mich dann mein Vater von dort Stunden später abgeholt hat, lief in seinem Autoradio gerade "What’s love got to do with it". Da hab ich gewusst: Der Tina ist das auch mal so gegangen."
Ob Tina Turner wirklich mit 15 in Oberösterreich besoffen sich hinter dem Festzelt übergeben hatte und danach von ihrem Vater aus dem Spital abgeholt wurde, bleibt zu hinterfragen. Rendi-Wagner aber bleiben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Postings erspart wie: "Ich weiß noch genau, wie mit 17 ich in der Mathe-Schularbeit nur 30 von 40 Punkten bekommen hab und ich hab mich so schlecht gefühlt, aber da hab ich dann am Abend in den Nachrichten gesehen, dass die Rendi-Wagner auch nur drei Viertel der Stimmen bekommen hat und hab gewusst: die weiß wie’s mir geht."
Liegt möglicherweise auch daran, dass Politiker_Innen mit ihrer Arbeit nicht die selben Gefühle in uns erwecken wie Musiker_Innen. Das ist auch gut so. Denn wenn sie es tun (siehe: Sebastian Kurz, Donald Trump, o.Ä.), kommen da ja auch keine coolen Platten raus, die man sich wieder und wieder anhören will, sondern nur Gerichtsprozesse, Ermittlungen und Untersuchungsausschüsse, von denen man wieder und wieder hören muss. Umgekehrt ist es ja auch so: Musiker_Innen, die meinen, sich ständig politisch äußern zu müssen, gehen einem ja auch auf den Wecker. Wer’s nicht glaubt, besuche ein Roger-Waters-Konzert.
Aber zurück zum Nachruf. Das Problem dabei: Das Epitaph hat man nicht in der Hand. Das schreiben die anderen. Vielleicht ist deshalb in Wien die "scheene Leich" so wichtig. Das Ende merkt man sich. Das bleibt ein Ableben lang. Und so kann es natürlich passieren, dass am letzten Tag, an dem diese Glosse erscheint (also am 24. Juni), irgendjemand ins Internet hineinschreiben wird: "Schade, die hab ich so gern immer auf der Toilette gelesen."
Naja, immerhin besser als hinters Zelt gekotzt.
2. Juni 2023
War der Nachruf in Zeiten vor den Sozialen Medien ein rein journalistisches Genre, darf jetzt jeder Mensch nicht zu allem, sondern auch nach jedem etwas sagen. Oder posten. Das Post-Post könnte man es nennen.
Dass sich Kolleginnen und Kollegen in Respekt verabschieden, gehört freilich zu den guten Umgangsformen. So berichtete etwa das Ö1-Mittagsjournal über die letzte Nationalratssitzung der scheidenden SPÖ-Chefin von freundlichen Wortmeldungen der Fraktionen in Richtung Rendi-Wagner von den Grünen, den Neos und sogar von der ÖVP. Die FPÖ wurde im Beitrag nicht genannt. Kein Wunder, steht die Abkürzung ja sicher nicht für "freundlich parlieren in der Öffentlichkeit".
Was soll’s, Frau Rendi-Wagner wird es verschmerzen. Die ist Schlimmeres gewohnt aus der eigenen Partei. Und sie wird wahrscheinlich verschont bleiben von der Kombination ganz privater Erinnerungen und ihrem beruflichen Werdegang wie sie zum Ableben von Tina Turner auf Twitter, Facebook und anderen Plattformen der organisierten Schwarm-Idiotie zu finden waren.
"Ich weiß noch genau, wie ich damals bei meinem ersten Festival in Oberösterreich war. Ich war 15 und mein Freund hatte gerade mit mir Schluss gemacht. Danach hab ich mich angesoffen, hinters Zelt gekotzt und musste dann von der Rettung ins Spital gebracht werden. Und wie mich dann mein Vater von dort Stunden später abgeholt hat, lief in seinem Autoradio gerade "What’s love got to do with it". Da hab ich gewusst: Der Tina ist das auch mal so gegangen."
Ob Tina Turner wirklich mit 15 in Oberösterreich besoffen sich hinter dem Festzelt übergeben hatte und danach von ihrem Vater aus dem Spital abgeholt wurde, bleibt zu hinterfragen. Rendi-Wagner aber bleiben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Postings erspart wie: "Ich weiß noch genau, wie mit 17 ich in der Mathe-Schularbeit nur 30 von 40 Punkten bekommen hab und ich hab mich so schlecht gefühlt, aber da hab ich dann am Abend in den Nachrichten gesehen, dass die Rendi-Wagner auch nur drei Viertel der Stimmen bekommen hat und hab gewusst: die weiß wie’s mir geht."
Liegt möglicherweise auch daran, dass Politiker_Innen mit ihrer Arbeit nicht die selben Gefühle in uns erwecken wie Musiker_Innen. Das ist auch gut so. Denn wenn sie es tun (siehe: Sebastian Kurz, Donald Trump, o.Ä.), kommen da ja auch keine coolen Platten raus, die man sich wieder und wieder anhören will, sondern nur Gerichtsprozesse, Ermittlungen und Untersuchungsausschüsse, von denen man wieder und wieder hören muss. Umgekehrt ist es ja auch so: Musiker_Innen, die meinen, sich ständig politisch äußern zu müssen, gehen einem ja auch auf den Wecker. Wer’s nicht glaubt, besuche ein Roger-Waters-Konzert.
Aber zurück zum Nachruf. Das Problem dabei: Das Epitaph hat man nicht in der Hand. Das schreiben die anderen. Vielleicht ist deshalb in Wien die "scheene Leich" so wichtig. Das Ende merkt man sich. Das bleibt ein Ableben lang. Und so kann es natürlich passieren, dass am letzten Tag, an dem diese Glosse erscheint (also am 24. Juni), irgendjemand ins Internet hineinschreiben wird: "Schade, die hab ich so gern immer auf der Toilette gelesen."
Naja, immerhin besser als hinters Zelt gekotzt.