Nolympia!
12. August 2024Okay, werte Leserinnen und Leser des „Neuen Glossenhauers“, ich gebe es zu:
Das war keine Woche. Aber dafür ist jetzt wenigstens Samstag. Irgendwie ist Newsletter-Schreiben schwieriger, wenn draußen gutes Wetter ist. Muß an der Temperatur liegen. Ich erwarte wissenschaftliche Studien dazu.
Obendrein wird man ständig abgelenkt. Nein, ich werde nicht die olympischen Spielen erwähnen. Es ist ja soviel anderes auch los die ganze Zeit. Nicht nur Krieg an allen Ecken und Enden der Welt, sondern auch „mediale Großereignisse“. Und ich meine damit nicht das Taylor-Swift-Konzert in Wien. Das hat bekanntlich nicht statt gefunden. War also ein „mediales Großnichtereignis“.
Dafür ist gerade CSD. Im Juni in Wien. Vor kurzem in Berlin. Dann in Hamburg. Danach Nürnberg. Heute Frankfurt. Aber auch in Orten, wo man es nicht geglaubt hätte: in Klagenfurt in Kärnten etwa. In Pirna in Sachsen. Und sogar in Mittersill im Oberpinzgau in Salzburg.
Das hätte ich dort nicht erwartet. Ganz ehrlich, wenn mir einer gesagt hätte, die machen dort noch Hexenverbrennungen , wäre mir das glaubhafter erschienen, als dass dort eine Pride-Parade marschiert. Demnächst soll auch eine in Oberbayern stattfinden. In Pfaffenhofen!
Finde ich großartig.
Also erste Erkenntnis: Es geht was voran. Zum Positiven. Muss man sich merken.
Wird man brauchen, wenn die nächsten Wahlergebnisse eintrudeln.
Der CSD ist ja überhaupt eine sehr sympathische Veranstaltung.
Nicht nur, weil er den Begriff „beweglicher Feiertag“ neu definiert. Sondern auch weil er mittlerweile an Orten stattfindet, wo man das vor zwanzig Jahren noch für unmöglich gehalten hätte. Also nicht in Moskau. Kommt aber vielleicht noch.
Wobei es noch dauern dürfte, bevor bunt-angezogene Menschen allerlei Geschlechts in Moskau laut und fröhlich ihr Liebesleben feiern. Zur Zeit landen die alle noch im Knast. Oder schlimmeres.
Jetzt gibt es natürlich auch in unseren Breiten Leute, die der LBGTQ+ Bewegung kritisch (bis feindlich) gegenüber stehen. Denen kann man beruhigend zurufen: Regt Euch ab.
Denn: So heißt die gar nicht mehr.
Die LGBTQ+ Bewegung ist nämlich jene Bewegung der Geschichte, die stetig an Buchstaben hinzugewinnt. Ich alter Zausel kann mich noch erinnern („Ach, Gott! Opa erzählt schon wieder vom Frieden!“), da hieß sie nur LBG. Später kam dann das T dazu. Danach das Q. Dann - weil die Buchstaben langsam langweilig wurden - das +Zeichen. Schließlich hat man auch noch ein I und A eingefügt und jetzt nennt sich diese Bewegung für Vorurteilsfreies Geschlechts- und Liebesleben: LGBTQIA+
Kann man sich merken. Muss man aber nicht.
Denn die Tastatur hat noch sehr viele andere Buchstaben und Satzzeichen. Ich warte mit dem Auswendiglernen bis auch das S (für Menschen, die nur bei Musik von Taylor Swift erregt werden können), das § (für Menschen die gerne Sex mit Juristen haben), das @ (für Menschen, die ausschließlich Sex im Internet haben) und das Ö (für Menschen, die sich nur für Österreicher oder in Österreich erregen können) sich in der Bewegung gewordenen Buchstabenwurst wiederfinden.
Denn jeder dieser Buchstaben steht für eine geschlechtliche Orientierung oder geschlechtliche Orientierungslosigkeit. Besonders interessant ist dabei das A als - bislang - letzter Hinzukömmling. Denn das A steht für asexuelle, aromantische und agender Personen. Kurz, das A steht für alle Menschen, die mit dem ganzen Körpersäftebusiness überhaupt nichts mehr zu tun haben wollen. Die Vermutung liegt nahe, die LGBT-und andere Buchstaben-Community möchte damit auch Menschen jenseits der Meno- und Andropause ansprechen. Also jene, denen der ganze Hormonzirkus auf den Senkel geht.
Kurz gesagt: Sie wollen an die Senioren ran. Logisch, die sind ja auch bei den Wahlen eine entscheidende Wählergruppe. Andererseits kann man es auch so sehen: Jeder und Jede soll lieben und vögeln dürfen, wen er sie oder es will - oder eben nicht will.
Was aber an dem CSD obendrein noch nachahmenswert ist, ist, dass hier eine gesellschaftliche Minderheit mit dem Schritt an die Öffentlichkeit zeigt, dass es sie gibt. Dass sie nicht mehr zu übersehen ist. Und folglich zu respektieren.
Was also, frage ich mich, wenn auch andere unterdrückte Minderheiten einmal im Jahr bunt und laut durch die Innenstädte marschieren?
Etwa: Die Türken.
Und zwar ohne, daß die vorher ein Fussballspiel gewonnen haben. Und ohne, dass Erdogan in der Stadt eine Rede hält. Einfach so. Freundlich, fröhlich, frisch rasiert.
An dem Tag hätten sehr viele Kioske und Gemüseläden zu.
Sagt das Vorurteil. Türkische White-Collar-Worker kennt das Vorurteil nämlich nicht so.
Oder die Buddhisten demonstrieren. Das wäre - wenn man dem Vorurteil folgt - eine sehr ruhige, in sich gekehrte Demonstration, manche Teilnehmer würden schweben, andere kennt man aus dem Yoghurt… äh Yoga-Unterricht.
Wenn das Vorurteil allerdings versagt, kommen die schwer bewaffnet. Also so wie sie gerade in Myanmar ganz buddhistisch Bürgerkrieg gegen die Militärjunta führen.
Aber halt: Wenn schon Krieg, dann doch bitte leise. Und strategisch. Und ohne, dass man dafür das Haus verlassen muss.
Also: Schach. Schachspieler sind ja auch irgendwie eine unterdrückte Minderheit, seit die Jugend dieselbige bei Egoshooter-Spielen verplempert. Die Schachspieler gäben auch einen großartigen Demonstrationszug ab. Die Kostüme wären klar: Dame, König, Turm, Rössel… die Demo-Route wird dagegen schwierig. Allein wie man sich fortbewegt ist ja schon die Frage. Immer nur in Einzelschritten wie der Bauer. Oder eins vor und dann eins diagonal wie das Rössel. Oder wie der Läufer quer durch. Und nur die Damen dürfen alles.
Apropos: Schachspielerinnen sind ja auch eine Minderheit. In der Welt des Schachspiels.
Eine Minderheit in der Minderheit also. Wie demonstrieren die dann? In Schwarz, wenn alle Weiß tragen, oder umgekehrt? Oder bunt? Oder gehen sie die Demo-Route in umgekehrter Richtung? Machen ständig Rochaden?
Wobei ich mich bei Schachspielerinnen immer eins frage: Warum gibt es eigentlich nach Geschlechtern getrennte Spiele im Schach? Sind die Figuren, mit denen die Männer spielen, für Frauen zu schwer? Oder ist den Frauen der Anblick denkender Männer nicht zuzumuten. Oder umgekehrt? Oder - völlig verrückte Idee - ist es für die männliche Eitelkeit womöglich unerträglich von Frauen besiegt werden zu können?
Vielleicht sollten die dann auch durch die Städte ziehen. Allerdings nicht als CSD, sondern als CPD: Chess Players Defeated. Wird sicher nicht so bunt und lustig. Ist aber trotzdem eine Minderheit. So wie diese Menschen, die aktuelle Texte schreiben und dabei kein einziges Mal die Olympischen Spiele erwähnen und… oh… verdammt!
Jetzt hab ich’s doch getan.