Severin Groebners Newsletter
Groebners neuer Glossenhauer
Der neue Glossenhauer

Ganz ehrlich

1. Dezember 2025

Gestern vor fünfzehn Jahren - so hat mich einer der 213 Geschichts-Podcasts, die ich regelmäßig höre, erinnert - war der Jahrestag von „Cablegate“. Wer sich nicht erinnert: das war jener Skandal, der Bradley/Chelsea Manning ins Gefängnis brachte, Julian Assange erst feiern lies, danach in die Botschaft von Ecuador in London einziehen und dann in ein britisches Hochsicherheitsgefängnis.

Ein Skandal, der zeigte, was die US-amerikanischen Diplomaten sehr undiplomatisch nach Hause „kabelten“. Und so war das Cablegate also jener Skandal, der erst durch die damals neuesten Mittel der Datenverarbeitung ermöglicht wurde, aber nach der Telegraphen-Technologie des 19. Jahrhunderts benannt wurde.

Heute wäre es natürlich undenkbar, dass so etwas durch ein Leak im Pentagon heraus kommt.
Heute laden die führenden Köpfe in Washington gewöhnlich die Journalisten von selbst in Chat-Gruppen ein. Die müssen dann nur noch Screenshots machen. Das ist technisch nicht so herausfordernd. Das kann sogar ich.

Aber damals war das neu.
Und die Aufregung war groß. Auch über das, was da zu lesen stand: Sarkozy wäre ein Kaiser ohne Kleider. Heute: Ein Kaiser mit Fussfessel.
Angela Merkel wäre eine Teflon-Kanzlerin. Äh…ja. Das hat man aber auch so gewußt.
Ihr damaliger Aussenminister Westerwelle wurde als eitel und inkompetent betitelt. War jetzt auch nicht so die Überraschung.
Bei Putin ist man heute schlauer, da hieß es 2010 Putin wäre ein Alpha-Rüde. Heute weiß man: Er ist sogar ein Prima Schweinehund.
Erdogan wäre dagegen ein machtgieriger Islamist. Nun, es gibt Kontinuität, kann man sagen.
Über Österreich stand dagegen wenig interessantes drinnen.
Nur, dass die Raiffeisen Investment Holding mit Teilen der russischen Mafia in geschäftlicher Verbindung stehen soll. Das hat sich ganz, ganz bestimmt geändert bis heute.

Und das alles war gestern 15 Jahre her.
Gleichzeitig war aber gestern auch „Black Friday“. Also nicht der von 1929, sondern die Eröffnung des Rabatt-Schattenboxens, das das Weihnachtsgeschäft einläutet, bevor im neuen Jahr nach den Feiertagen dann alles wirklich billig wird.
Aber die Menschheit mag sowas eben, diese wiederkehrenden Termine:
Black Friday, Blue Monday, Ruby Tuesday, Sunday bloody Sunday, Weihnachten, Ostern, I’ve got Pfingsten on my Mind…

Fast so regelmäßig wie diese Tage des verordneten Glücks sind aber auch die Datenskandale und Leaks, wo wieder die Empörung medial aufgeschäumt wird.

Und da hab ich mir gedacht: Dass muss doch nicht sein.
Ich finde zwar die Formulierung „Machen wir uns mal ehrlich“ ganz ehrlich unerträglich häßlich, aber die Idee dahinter gefällt mir.
Ich schlage daher vor, die Einrichtung eines „Honesty-Day“.
Einmal im Jahr sagen wir uns, was wir uns wirklich denken: privat, professionell, politisch.
Ein Tag ohne geheuchelte Freundlichkeit, ohne Rücksichtnahme, gerade heraus.

Ich glaube fest daran, dass das erhellend für alle wäre.
Für Zuseher. Aber auch für Beteiligte. Und erheiternd für alle. Und vor allem: sehr erleichternd.
Einmal sagen, was man wirklich denkt.

Heute ist Honesty-Day!

Was man da alles los werden könnte:

„Schatz, doch Du hast einen fetten Hintern. Macht aber nichts.“
„Danke und Du bist ja auch wirklich ein Versager. Dein Chef und ich sind uns da einig. Deshalb schlaf ich auch mit ihm.“
„Vollkornbrot nennen wir es, weil wir da die unverdaulichen Abfälle aus der Backstube reinbacken.“
„Unser Parteichef ist ein neurotischer Vollidiot, aber wir haben keinen Besseren.“
„Natürlich sind wir eine rechtsradikale Partei, die die Leute verarscht um an die Macht zu kommen, was denn sonst?“
„Uns ist im Aufsichtsrat, wie auch in der Geschäftsführung selbstverständlich klar, dass niemand diese riesigen Verbrenner-Karren braucht, die wir bauen. Nur leider sind wir so verbohrt, dass wir uns nichts neues vorstellen können.“
„Ich bin kein Popstar, ich bin eine erfolgreiche Marketing-Strategie.“
„Wie jedes Jahr ist es auch dieses so: Unser Glühwein ist nichts als ein Abführmittel, das Kopfweh macht.“
„Ich brauche es nicht passend. Wirklich nicht!“
„Das hast Du für mich gebastelt? Wie Scheiße sieht das denn aus?“
„Okay ich bin inkompetent, ich bin aber trotzdem euer Chef.“
„Grrrr wuff!“
„Wenn Sie sich ein bißchen schlauer anstellen würden und einen 50er rüber wachsen lassen täten, dann wär das mit dem Strafmandat auch schon längst wieder aus der Welt.“
„Es gibt wahrscheinlich keinen Gott! Und sollte er doch existieren… hab ich ganz bestimmt nicht die blasseste Ahnung davon, was er oder sie oder es will!“
„Ja, wir sind pleite. Aber das sind wir doch schon lange.“
„Natürlich war das Abseits. Anders schießen wir nie Tore.“
„Überteuert? Überteuert soll das sein? Nein, das ist es nicht. Es ist blanker Wucher, aber mit Dir kann ich das ja machen, Du Idiot!“
„Ich weiß selber nicht, wie dieses System funktioniert, bin aber heilfroh diesen Job zu haben.“
„Ich bin kein Mensch.“
„Natürlich bin ich ein Rassist! Das ist bei uns Familientradition.“
„Es ist doch ganz einfach: Unser Geschäftsmodell ist es Volkswirtschaften zu vernichten und weltweit die Armut zu vergrößern und dass lediglich zu Gunsten einer winzigen, gelangweilten Elite. Capito?“
„Ja, Unser Ministerpräsident ist deshalb so dick, weil er das Öl von Russland nach Ungarn in seinem Darm transportiert.“
„Selbstverständlich ist unser Präsident korrupt.“
„Unserer auch! Und ein Kriegsverbrecher!“
„Unserer beides und obendrein ein gefährlicher Psychopath!“
„Unserer auch!“
„Same here!“
„Aussi!“
„Bei uns sieht es nicht besser aus.“
„Unserer ist eigentlich… ganz okay. Nur er raucht so viel. Und redet so langsam.“

Und so kommt einmal im Jahr endlich einmal alles raus.
Das reinigt die Seelen, erleichtert die Herzen, klärt die Gedanken und dann…

…macht es DUNG! DUNG! DUNG! DUNG!
Und danach:
Doing Doing Doing Doing Doing Doing Doing Doing Doing Doing Doing Doing….
(Glockentöne in der Nacht verhallend)

Und dann ist es Mitternacht. Der Tag ist vorbei und alle sind wieder höflich und lieb zu einander. Sogar im Internet.
Und haben was zum nachdenken.
Über ihren Mundgeruch.
Oder ob sie wirklich das Zeug zum Star haben. Oder ob sie nicht ihren Job wechseln sollten.
Oder ob angesichts der bisher angehäuften Verbrechen es nicht doch besser wäre, sich jetzt die Kugel zu geben.
Wozu ist man schließlich Oberbefehlshaber?

Oder man ist einfach dankbar, das man sonst das ganze Jahr über einander freundlich anlügt.
Weil das das Zusammenleben erst ermöglicht.
Schön.

Außer Donald Trump.
Der macht einfach weiter.
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