Der neue Glossenhauer
Es ist Weihnachten. Und das ist gut so. Die Menschheit freut sich an Geschenken, von denen sie nicht weiß, wohin damit. Und über den Besuch von Verwandten, von denen sie nicht weiß, woher.
Aber sonst ist es schön. Stress, Rempeleien in der Schlange an der Supermarktkasse und Schreiduelle im Straßenverkehr sind vorbei, jetzt muss nur noch gegessen werden. Und verdaut. Und vergessen.
Denn dazu ist so ein Fest ja auch da. Einmal im Jahr alles vergessen, was sonst noch so auf dem runden Planeten nicht so ganz rund läuft. Das bleibt draußen. Ob Krieg, Klima oder andere Katastrophen, die einzigen Strophen, die uns jetzt interessieren, sind die von „Stille Nacht".
Und deshalb hat auch der Satiriker zu schweigen. Er muß seinen Kopf in den nicht vorhandenen Schnee stecken und dort warten bis der Alltag wieder öffnet. Meist am 7. Jänner.
Das ist so, weil Satire ja eine Form der Auseinandersetzung mit der Gegenwart ist.
Wenn aber die Gegenwart ausgeblendet wird und hinter einem üppig dekorierten, etwas schrägen, an der Zimmerdecke kratzenden Weihnachtsbaum zu verschwinden hat, ist auch der Satiriker im Zwangsurlaub.
Wobei es sicher viele Menschen gibt, die sich eine Verlängerung dieses Zustands der selbstgewählten Ahnungslosigkeit wünschen würden. Warum kann man nicht das ganze Jahr sagen: „Jetzt hör mir auf mit diesen Geschichten, es ist Weihnachten."?
Das ist doch die wahre Informationsfreiheit: die Freiheit von Information.
Man könnte doch ohne Probleme nach Weihnachten, das große Fest des Aufräumens feiern. Weltweit werfen Menschen Zeug weg, das sie eigentlich nicht brauchen. Alle fotografieren ihren Müll und stellen ihn auf Instagram, bis zum Höhepunkt der Festivität. Das ist eine Woche vor Aschermittwoch, wenn der heilige Müllmann kommt. Mit seinem Müllfahrzeug Rud... Ru... R... Rüdiger braust er heran, nimmt alles mit und lädt das ganze Zeug am Nordpol ab. Oder im Ozean. Dann ist eine Woche Fasching vulgo Karneval und alle haben Zeug an, das sie den Rest des Jahres niemals tragen würden, sind betrunken und man amüsiert sich mit Freuden weit unterhalb des eigenen Niveaus.
Wenn man eins hat.
Danach beginnt das Frühlingsfest.
Denn der Frühling ist die Zeit des Nestbaus in der Natur und so ist auch der Mensch angehalten sich neue Einrichtungsgegenstände zuzulegen. Schließlich hat man ja gerade erst alles weggeworfen.
Das Frühlingsfest begehen die Gläubigen also mit einer ständigen Wallfahrt ins örtliche Einrichtungshaus und wieder zurück. Man darf nur aus dem Auto aussteigen, um die gerade frisch erworbenen Möbel ein- oder auszuladen. Oder zum Zweck das soeben verzehrte Mittagsmenu wieder los zu werden. Ziel ist es so oft wie möglich das Möbelcenter zu besuchen und dabei soviel Kilometer zu machen, wie nur geht. Wer es schafft den Erdumfang herein zu fahren, bekommt vom Papst den Segen „Urbi et Orbi" (für den Stadtbewohner mit Kaugummi).
Dann ist endlich Sommer und wir dürfen anschließend schon wieder feiern. Das Fest der Ölung. Ein angeblich alter, heidnischer Brauch aus dem vorchristlichen, römischen Reich, in dem man sich in Badeanstalten trifft, sich gegenseitig mit Sonnenöl einschmiert, in Frittier-Öl heraus gebackene Pommes isst und dazu Bier (dänisch: Öl) trinkt. Wer am Ende des Sommers aussieht wie ein Jägerschnitzel (ohne Sauce) hat gewonnen, wird zum „Herr des Sommers" gekürt, und - nachdem ihm eine aus Stroh geflochtene Krone aufgesetzt wurde - bekommt er eine Hautkrebsvorsorgeuntersuchung gratis.
Dann ist Herbst, da muß man noch einmal dem großen Geist des Konsumismus dienen, bevor wieder diese selbstkasteiende Weihnachtszeit anbricht. Also am besten ein dreimonatiges Erntedankfest. Muß man sich vorstellen wie das Vorbild in München, aber nicht nur im Oktober und nicht nur in München. Ein landesweites Septemberoktobernovemberfest. Denn obwohl die Kirche gerne vom „Lamm Gottes" spricht, bleiben die Hühner und Schweine Gottes völlig unerwähnt. Aber auch die hat der Herr für uns vorbereitet. Der Herr der Massentierhaltung genauer gesagt, der uns hinweg nimmt die Kunde der Welt. Denn wenn wir drei Monate ständig nur zwischen Braten und Bett hin- und herpendeln, kriegen wir garantiert nichts mit von der Welt. Und das ist ja der Plan.
Und dann ist auch schon wieder Weihnachten. Und wir haben es geschafft.
Ein ganzes Jahr nur selige Festzeiten und keinerlei Nachrichten.
Und ein Blick in den Spiegel zeigt uns: Runder sind wir geworden. Aber auch bräuner. Und die Wohnung ist voller Möbel, von denen wir nicht wissen wohin.
Es ist eng. Riecht seltsam nach Sonnenöl und Bratenfett. Aber wir sind glücklich.
Ahnungslos glücklich.
Aber dann wollen wir es doch mal wissen, holen das Smartphone raus und dann sagt irgendwer: „Lass das bitte! Es ist doch Weihnachten."
In diesem Sinne: Frohes Fest.
Weihnachten vs. Satire 1:0
24. Dezember 2023Es ist Weihnachten. Und das ist gut so. Die Menschheit freut sich an Geschenken, von denen sie nicht weiß, wohin damit. Und über den Besuch von Verwandten, von denen sie nicht weiß, woher.
Aber sonst ist es schön. Stress, Rempeleien in der Schlange an der Supermarktkasse und Schreiduelle im Straßenverkehr sind vorbei, jetzt muss nur noch gegessen werden. Und verdaut. Und vergessen.
Denn dazu ist so ein Fest ja auch da. Einmal im Jahr alles vergessen, was sonst noch so auf dem runden Planeten nicht so ganz rund läuft. Das bleibt draußen. Ob Krieg, Klima oder andere Katastrophen, die einzigen Strophen, die uns jetzt interessieren, sind die von „Stille Nacht".
Und deshalb hat auch der Satiriker zu schweigen. Er muß seinen Kopf in den nicht vorhandenen Schnee stecken und dort warten bis der Alltag wieder öffnet. Meist am 7. Jänner.
Das ist so, weil Satire ja eine Form der Auseinandersetzung mit der Gegenwart ist.
Wenn aber die Gegenwart ausgeblendet wird und hinter einem üppig dekorierten, etwas schrägen, an der Zimmerdecke kratzenden Weihnachtsbaum zu verschwinden hat, ist auch der Satiriker im Zwangsurlaub.
Wobei es sicher viele Menschen gibt, die sich eine Verlängerung dieses Zustands der selbstgewählten Ahnungslosigkeit wünschen würden. Warum kann man nicht das ganze Jahr sagen: „Jetzt hör mir auf mit diesen Geschichten, es ist Weihnachten."?
Das ist doch die wahre Informationsfreiheit: die Freiheit von Information.
Man könnte doch ohne Probleme nach Weihnachten, das große Fest des Aufräumens feiern. Weltweit werfen Menschen Zeug weg, das sie eigentlich nicht brauchen. Alle fotografieren ihren Müll und stellen ihn auf Instagram, bis zum Höhepunkt der Festivität. Das ist eine Woche vor Aschermittwoch, wenn der heilige Müllmann kommt. Mit seinem Müllfahrzeug Rud... Ru... R... Rüdiger braust er heran, nimmt alles mit und lädt das ganze Zeug am Nordpol ab. Oder im Ozean. Dann ist eine Woche Fasching vulgo Karneval und alle haben Zeug an, das sie den Rest des Jahres niemals tragen würden, sind betrunken und man amüsiert sich mit Freuden weit unterhalb des eigenen Niveaus.
Wenn man eins hat.
Danach beginnt das Frühlingsfest.
Denn der Frühling ist die Zeit des Nestbaus in der Natur und so ist auch der Mensch angehalten sich neue Einrichtungsgegenstände zuzulegen. Schließlich hat man ja gerade erst alles weggeworfen.
Das Frühlingsfest begehen die Gläubigen also mit einer ständigen Wallfahrt ins örtliche Einrichtungshaus und wieder zurück. Man darf nur aus dem Auto aussteigen, um die gerade frisch erworbenen Möbel ein- oder auszuladen. Oder zum Zweck das soeben verzehrte Mittagsmenu wieder los zu werden. Ziel ist es so oft wie möglich das Möbelcenter zu besuchen und dabei soviel Kilometer zu machen, wie nur geht. Wer es schafft den Erdumfang herein zu fahren, bekommt vom Papst den Segen „Urbi et Orbi" (für den Stadtbewohner mit Kaugummi).
Dann ist endlich Sommer und wir dürfen anschließend schon wieder feiern. Das Fest der Ölung. Ein angeblich alter, heidnischer Brauch aus dem vorchristlichen, römischen Reich, in dem man sich in Badeanstalten trifft, sich gegenseitig mit Sonnenöl einschmiert, in Frittier-Öl heraus gebackene Pommes isst und dazu Bier (dänisch: Öl) trinkt. Wer am Ende des Sommers aussieht wie ein Jägerschnitzel (ohne Sauce) hat gewonnen, wird zum „Herr des Sommers" gekürt, und - nachdem ihm eine aus Stroh geflochtene Krone aufgesetzt wurde - bekommt er eine Hautkrebsvorsorgeuntersuchung gratis.
Dann ist Herbst, da muß man noch einmal dem großen Geist des Konsumismus dienen, bevor wieder diese selbstkasteiende Weihnachtszeit anbricht. Also am besten ein dreimonatiges Erntedankfest. Muß man sich vorstellen wie das Vorbild in München, aber nicht nur im Oktober und nicht nur in München. Ein landesweites Septemberoktobernovemberfest. Denn obwohl die Kirche gerne vom „Lamm Gottes" spricht, bleiben die Hühner und Schweine Gottes völlig unerwähnt. Aber auch die hat der Herr für uns vorbereitet. Der Herr der Massentierhaltung genauer gesagt, der uns hinweg nimmt die Kunde der Welt. Denn wenn wir drei Monate ständig nur zwischen Braten und Bett hin- und herpendeln, kriegen wir garantiert nichts mit von der Welt. Und das ist ja der Plan.
Und dann ist auch schon wieder Weihnachten. Und wir haben es geschafft.
Ein ganzes Jahr nur selige Festzeiten und keinerlei Nachrichten.
Und ein Blick in den Spiegel zeigt uns: Runder sind wir geworden. Aber auch bräuner. Und die Wohnung ist voller Möbel, von denen wir nicht wissen wohin.
Es ist eng. Riecht seltsam nach Sonnenöl und Bratenfett. Aber wir sind glücklich.
Ahnungslos glücklich.
Aber dann wollen wir es doch mal wissen, holen das Smartphone raus und dann sagt irgendwer: „Lass das bitte! Es ist doch Weihnachten."
In diesem Sinne: Frohes Fest.
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