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Der neue Glossenhauer

Das Tier in dir und mir

23. Juli 2023

Die Menschen und ihre Tiere. Es ist eine seltsame Beziehung, die der Mensch zum Tier pflegt. Ihre Bandbreite reicht von der völligen Ausrottung (Dodo, chinesischer Flussdelfin, Tiger auf Bali oder Java, demnächst mehr…äh…eigentlich weniger) bis zur Umarmung über den Tod hinaus (ausgestopfter Pudel liegt auf der Fensterbank, weil „das immer der Lieblingsplatz von unserem Schnuffi war“). Fest steht: Wenn sich der Mensch mal an ein Tier gewöhnt hat, dann möchte er, dass das Viecherl auch da bleibt, wo es ist. Und auch was es ist.
Derzeit zu beobachten in Kleinmachnow bei Berlin.
Dort ist es schön. Das weiß ich, weil ich da sogar schon mal gespielt habe. Da fährt man vom Berliner Hauptbahnhof mit der U-Bahn, dann ewig S-Bahn, dann steigt man um in einen Bus und dann steigt man aus und steht… im Wald. Und der Veranstalter kommt eine Dreiviertel Stunde später und schnauzt Dich an, dass Du so früh da bist. Und dann weißt Du: Das muß diese berühmte Berliner Schnauze sein, die so heißt, weil man am besten immer drauf „Schnauze!“ erwidert.

Egal, vorher stehst Du da im Wald herum und denkst Dir „Hier sagen sich echt Fuchs und Hase gute Nacht.“  Aber das stimmt eben nicht. Denn in Kleinmachnow sagen sich Fuchs und Hase und Löwin gute Nacht. Letztere wurde ein Star in den Sozialen Medien, da sie gefilmt wurde. Wer das Video gesehen hat (und ich habe es gesehen), weiß: das kann eine Löwin sein. Aber auch ein Leopard. Oder ein Panther. Oder ein Puma. Oder deren weibliche Formen. Wie heißen die eigentlich? Leopardin? Wahrscheinlich. Aber Panther…a? Pantheröse? Panthra? Panthrize? Und Puma….? Ist das nicht schon die weibliche Form und die männliche Raubkatze müßte Pumo heißen?

Egal, da war ganz genau darauf ein Reh zu erkennen, das sich für eine Dogge hält, die bei schlechter Beleuchtung aussieht wie…. eine Löwin! Und schon war sich die Bevölkerung in Kleinmachnow und Umgebung, die sonst sich vielleicht nicht so für gegenderte Tiere interessiert, sicher: Die Löwin ist los.

Die Geschichte der Löwin war einfach besser. Und man konnte sich so schön fürchten davor. Weshalb auch hunderte Polizisten Waldspaziergänge mit der Waffe in der Hand machen durften. Ist wahrscheinlich auch gut für die Psyche. Waldbaden für die Exekutive. Nicht immer irgendwelchen Drogendealer im Wedding oder besoffenen Hipstern in Kreuzberg nachjagen, einfach mal mit der Maschinenpistole im Anschlag durch Feuchtwiesen und Auenwälder marschieren. Da kann der gestresste Exekutivbeamte die Seele baumeln lassen und vielleicht mal in einem unbeobachteten Moment einen Baum umarmen.

Leider war es damit bald wieder vorbei, denn plötzlich wurde die Löwin auf eine Wildsau hinunter gestuft. Downgesized auf gut Deutsch. Und für die ist der Jäger, der Förster oder der Eber zuständig, aber nicht die Exekutive.

Viele Menschen sind jetzt aber traurig. Und vermissen die Löwin. Weil die einem auch Aufmerksamkeit gab. Und Furcht. Und mit der Furcht und der Aufmerksamkeit um Leib und Leben und Dackel, kam ja auch die Bedeutung.

Denn: wenn ich mich fürchte, dann bin ich wichtig und muss beschützt werden. So funktioniert ja die Politik von Parteien wie AfD oder FPÖ: Die treiben eine ganz gewöhnliche Sau durchs Dorf und alle die, die statt einem mitteleuropäischen Borstentier darin eine hochgefährliche zugewanderte afrikanische Raubkatze sehen, wählen die dann. Wer braucht schon Realität, wenn er eine schöne Paranoia haben kann.
Erstaunlich war die Reaktion des Schönbrunner Tiergartens zu Wien auf die Ereignisse von Kleinmachnow. Dort forderte der Chef Waffen für den Zoo.

Ob als Schutz vor eindringende Löwinnen aus Deutschland, ausbrechenden Wildtieren aus Schönbrunn oder zur Selbstverteidigung der Tiere, damit sie keiner filmt und danach in ein Video einbaut, daß dann in die sozialen Netzwerke hochgeladen wird, weiß man nicht.
Es ist eben eine seltsame Beziehung. Die zwischen Mensch und Tier.
Und manchmal wohnt das größte Biest gar nicht draußen, sondern drinnen.