Der neue Glossenhauer
Man muß sich auch mal auf die guten Nachrichten konzentrieren. Ist ja auch gar nicht so leicht. Wir leben schließlich in Zeiten der Polykrise. Was für ein Wort! „Polykrise“!
Andererseits logisch.
Wurde noch vor ein paar Jahren die „Polyamorie“ gefeiert, im Feuilleton besprochen, in Talkshows dem lesefaulen Publikum näher gebracht, finden wir uns jetzt folgerichtig in der „Polykrise“ wieder. C’est la vie. Mit der Anzahl der Bettgenossen steigt die Anzahl der Probleme.
Wer jetzt einwirft: „Das eine hat doch mit dem anderen überhaupt nichts zu tun!“
Dem sei gesagt: Richtig! Aber für diesen mauen Gag hat’s gereicht.
Liegt auch daran, dass mir zu „Polytheismus“, „Polyester“ und „Polyp“ nichts eingefallen ist.
Egal.
Kommen wir jetzt zu den versprochenen guten Nachrichten:
Ein Emmy für Deutschland! Die Serie „Die Kaiserin“ auf Netflix hat den „International Emmy Award“ gewonnen. Und für alle Joghurt-Esser unter Euch: Nein, der Preis wird nicht von einer Schweizer Molkerei gesponsert.
Die Freude ist groß! Ein internationaler Preis für die olle Elisabeth. Also die oide Sissy. Die Kaiserin, die ehemalige. Also eigentlich ein Emmy für Österreich. Denn dort war die bayerische Adelspomeranze ja bekanntlich Kaiserin. Wegen ihres Aufwachsens am Starnbergersee (der damals noch - wenn ich mich nicht irre - „Würmsee“ hieß, vielleicht der Wasserqualität wegen) würde ja keiner über die einen Film drehen.
Und es ist ja nicht der erste Film, oder die erste Serie, über Sissy. Gerade war ja Romy Schneiders Jubiläum, da hat man die Schmonzetten aus den 50er Jahren wieder sehen können. Davor gab es die RTL Serie „Sisi“. Nicht zu vergessen der Film „Corsage“ aus Österreich letztes Jahr. Und erst kürzlich der Film „Sissy und ich“ mit Sandra Hüller.
War’s das?
Nein! Es gibt auch noch eine Doku „Sisis Kinderjahre - von Possenhofen nach Wien und in die Ewigkeit“ (mit oder ohne Umsteigen?), natürlich das Musical „Elisabeth“ und diesen Roman - hab ich den schon erwähnt? - er heißt: „Sisi“.
Ja, die Sissy ist so omnipräsent, dass sich sogar der ägyptische Staatschef nach ihr benannt hat.
Niemand kann Sissy entkommen.
Aber warum ist eigentlich Sissy so aktuell? Was sehen „wir“ in einer überprivilegierten Adeligen aus dem 19. Jahrhundert? Was „sagt uns“ diese Figur?
Vielleicht, dass „wir als Gesellschaft“ auch im Sissy-Stadium angekommen sind? Also: depressiv, egomanisch, magersüchtig und zu teuer angezogen? Gelangweilt von den eigenen Privilegien und dem unverdienten Reichtum ergehen wir uns in Fitness-Wahn und hoffen insgeheim, dass demnächst ein fescher, italienischer Anarchist daher kommt und uns mittels einer Feile aus der Schweiz in die Ewigkeit befördert.
Ja, warum nicht. Wir sind eigentlich bereit dazu, wissen nur noch nicht, wie man ein Attentat auf TikTok stellt, bei dem man selbst das Opfer ist.
Weil auf TikTok müssen wir schon sein. Denn dort gibt es ja die tollsten Bilder von Krieg und Terror und… Hoppla, ich wollte ja eigentlich über die guten Nachrichten reden.
Also über die EU.
Nein, nicht lachen. Das war kein Witz.
Das EU-Parlament hat ganz im Gegenteil etwas beschlossen. Etwas Wichtiges. Das „Recht auf Reparatur“. Nicht schlecht, oder?
Denn mit diesem Recht will das Parlament die Menschen vom Finnischen Meerbusen bis an die Algarve ermutigen, nicht alles, was gerade nicht optimal funktioniert (den alten Mixer, das alte Dreirad vom mittlerweile Fünfzehnjährigen, den Opa) nicht gleich wegzuschmeißen. So könnte man bis zu 35 Millionen Tonnen Abfall im Jahr einsparen. Und das ist eine ganze Menge, weswegen ich sicher bin, dass dieses Recht auf Reparatur von der europäischen Bevölkerung mit Freuden angenommen werden wird.
Noch schöner wäre natürlich eine zentrale europäische Reparaturannahmestelle, wo man einfach alle, was kaputt ist, einschicken kann.
Da würden dann die Fahrgäste aus Deutschland die deutsche Bahn hin schicken. Die ganze.
Die Österreicher senden dagegen ihre Regierung. Die Ungarn würden gerne ihre kaputte Medienlandschaft einsenden, aber der nicht minder lädierte Ministerpräsident kontrolliert leider den Postausgang. Und die deutsche Bundesregierung lässt sich gleich ihr Budget reparieren. Dann dürfen sich nämlich die Damen und Herren in der EU mit der Frage herumschlagen, wie man einerseits weder Schulden macht, noch Steuern erhöht, und gleichzeitig mehr Geld ausgibt, um die Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunft zu rüsten.
Weil das ja notwendig ist, da rundherum ein bißchen Polykrise herrscht.
Und wie nennt man sowas? Genau: Die Quadratur des Kreises. Und was ist ein Quadrat?
Genau: Ein Polygon.
Hätte ich das nur am Anfang dieser Glosse schon gewußt, wer weiß, wohin sich dieser Text entwickelt hätte. Vielleicht nach Polynesien? Oder sonst irgendwohin, wo keiner weiß, wer Sissy ist.
Das wären mal gute Nachrichten.
Wir sind Sissy, was bist Du?
28. November 2023Man muß sich auch mal auf die guten Nachrichten konzentrieren. Ist ja auch gar nicht so leicht. Wir leben schließlich in Zeiten der Polykrise. Was für ein Wort! „Polykrise“!
Andererseits logisch.
Wurde noch vor ein paar Jahren die „Polyamorie“ gefeiert, im Feuilleton besprochen, in Talkshows dem lesefaulen Publikum näher gebracht, finden wir uns jetzt folgerichtig in der „Polykrise“ wieder. C’est la vie. Mit der Anzahl der Bettgenossen steigt die Anzahl der Probleme.
Wer jetzt einwirft: „Das eine hat doch mit dem anderen überhaupt nichts zu tun!“
Dem sei gesagt: Richtig! Aber für diesen mauen Gag hat’s gereicht.
Liegt auch daran, dass mir zu „Polytheismus“, „Polyester“ und „Polyp“ nichts eingefallen ist.
Egal.
Kommen wir jetzt zu den versprochenen guten Nachrichten:
Ein Emmy für Deutschland! Die Serie „Die Kaiserin“ auf Netflix hat den „International Emmy Award“ gewonnen. Und für alle Joghurt-Esser unter Euch: Nein, der Preis wird nicht von einer Schweizer Molkerei gesponsert.
Die Freude ist groß! Ein internationaler Preis für die olle Elisabeth. Also die oide Sissy. Die Kaiserin, die ehemalige. Also eigentlich ein Emmy für Österreich. Denn dort war die bayerische Adelspomeranze ja bekanntlich Kaiserin. Wegen ihres Aufwachsens am Starnbergersee (der damals noch - wenn ich mich nicht irre - „Würmsee“ hieß, vielleicht der Wasserqualität wegen) würde ja keiner über die einen Film drehen.
Und es ist ja nicht der erste Film, oder die erste Serie, über Sissy. Gerade war ja Romy Schneiders Jubiläum, da hat man die Schmonzetten aus den 50er Jahren wieder sehen können. Davor gab es die RTL Serie „Sisi“. Nicht zu vergessen der Film „Corsage“ aus Österreich letztes Jahr. Und erst kürzlich der Film „Sissy und ich“ mit Sandra Hüller.
War’s das?
Nein! Es gibt auch noch eine Doku „Sisis Kinderjahre - von Possenhofen nach Wien und in die Ewigkeit“ (mit oder ohne Umsteigen?), natürlich das Musical „Elisabeth“ und diesen Roman - hab ich den schon erwähnt? - er heißt: „Sisi“.
Ja, die Sissy ist so omnipräsent, dass sich sogar der ägyptische Staatschef nach ihr benannt hat.
Niemand kann Sissy entkommen.
Aber warum ist eigentlich Sissy so aktuell? Was sehen „wir“ in einer überprivilegierten Adeligen aus dem 19. Jahrhundert? Was „sagt uns“ diese Figur?
Vielleicht, dass „wir als Gesellschaft“ auch im Sissy-Stadium angekommen sind? Also: depressiv, egomanisch, magersüchtig und zu teuer angezogen? Gelangweilt von den eigenen Privilegien und dem unverdienten Reichtum ergehen wir uns in Fitness-Wahn und hoffen insgeheim, dass demnächst ein fescher, italienischer Anarchist daher kommt und uns mittels einer Feile aus der Schweiz in die Ewigkeit befördert.
Ja, warum nicht. Wir sind eigentlich bereit dazu, wissen nur noch nicht, wie man ein Attentat auf TikTok stellt, bei dem man selbst das Opfer ist.
Weil auf TikTok müssen wir schon sein. Denn dort gibt es ja die tollsten Bilder von Krieg und Terror und… Hoppla, ich wollte ja eigentlich über die guten Nachrichten reden.
Also über die EU.
Nein, nicht lachen. Das war kein Witz.
Das EU-Parlament hat ganz im Gegenteil etwas beschlossen. Etwas Wichtiges. Das „Recht auf Reparatur“. Nicht schlecht, oder?
Denn mit diesem Recht will das Parlament die Menschen vom Finnischen Meerbusen bis an die Algarve ermutigen, nicht alles, was gerade nicht optimal funktioniert (den alten Mixer, das alte Dreirad vom mittlerweile Fünfzehnjährigen, den Opa) nicht gleich wegzuschmeißen. So könnte man bis zu 35 Millionen Tonnen Abfall im Jahr einsparen. Und das ist eine ganze Menge, weswegen ich sicher bin, dass dieses Recht auf Reparatur von der europäischen Bevölkerung mit Freuden angenommen werden wird.
Noch schöner wäre natürlich eine zentrale europäische Reparaturannahmestelle, wo man einfach alle, was kaputt ist, einschicken kann.
Da würden dann die Fahrgäste aus Deutschland die deutsche Bahn hin schicken. Die ganze.
Die Österreicher senden dagegen ihre Regierung. Die Ungarn würden gerne ihre kaputte Medienlandschaft einsenden, aber der nicht minder lädierte Ministerpräsident kontrolliert leider den Postausgang. Und die deutsche Bundesregierung lässt sich gleich ihr Budget reparieren. Dann dürfen sich nämlich die Damen und Herren in der EU mit der Frage herumschlagen, wie man einerseits weder Schulden macht, noch Steuern erhöht, und gleichzeitig mehr Geld ausgibt, um die Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunft zu rüsten.
Weil das ja notwendig ist, da rundherum ein bißchen Polykrise herrscht.
Und wie nennt man sowas? Genau: Die Quadratur des Kreises. Und was ist ein Quadrat?
Genau: Ein Polygon.
Hätte ich das nur am Anfang dieser Glosse schon gewußt, wer weiß, wohin sich dieser Text entwickelt hätte. Vielleicht nach Polynesien? Oder sonst irgendwohin, wo keiner weiß, wer Sissy ist.
Das wären mal gute Nachrichten.
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