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Der neue Glossenhauer

Es wird schön gewesen sein

17. März 2025

Erinnerungen sind was Schönes.
Man schwelgt bekanntlich gerne in Ihnen. Und das sicherlich zu Recht. Denn ich kenn kein anderes Substantiv in dem man sonst schwelgen kann. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, was „schwelgen“ genau bedeutet. Habe keinerlei Erinnerungen daran, dass mir das einmal irgendwer das „schwelgen“ erklärt hat. Dafür hab ich jede Menge Erinnerungen, in denen ich schwelgen kann. Gerne würde ich auch mal woanders schwelgen.
Zumindest es versuchen.

Etwa mal im Zug schwelgen. Oder ich schwelge in der Shopping Mall, ich schwelge in meiner Steuererklärung, ich schwelge vielleicht auch mal in der Wurzelbehandlung beim Zahnarzt, ich schwelge im Parteitag oder schwelge in Ignoranz. Vielleicht schwelge ich auch in beiden gleichzeitig.  Ich schwelge im weißen Haus, ich schwelge in den Medien und schwelge auch im Informationszeitalter, da ich völlig in Desinformation schwelge.
Auch das am besten gleichzeitig.
Also schwelge ich im Desinformationszeitalter.

Also würde ich das zumindest tun, wenn ich denn wüßte, was „schwelgen“ eigentlich heißt.
Tu ich aber nicht. Daher schwelge ich faktisch nicht, sondern nur im Konjunktiv.
Ich schwülge also. Oder schwelgte ich? Oder schwölgerte?
Wös wüß dänn öch?!

Eigentlich wollte ich mich ja nur erinnern.
Und das ist auch gar nicht so einfach. Gerade als Österreicher. Im März. Da könnte man sich erinnern, dass da ein erfolgreicher - oder besser: ervolkreicher - Auslandsösterreicher aus Deutschland kommend vor 87 Jahren einmarschiert ist.
Daran könnte man sich erinnern. Wenn man möchte.
Und auch daran wie heldenhaft die Österreicher sich dem Aggressor entgegen gestellt haben und um ihre Unabhängigkeit gekämpft haben.

Nur kann man sich daran leider nicht erinnern.
Ebensowenig wie man sich an die Landung der Griechen auf dem Mars erinnern kann, die olympische Goldmedaille in 300-Meter-im-Weg-stehen für Deutschland oder die Verleihung des Literaturnobelpreis an Wladimir Putuin und seine Troll-Fabriken für die wirkungsmächtigsten fiktionalen Erzählungen der letzten Jahre.
Einfach, weil das alles nicht passiert ist.
Obwohl man sich natürlich auch gerne an Sachen erinnern kann, die nicht passiert sind. Einfach weil man möchte. Und weil es gut einem gut in den Kram passt.

Ein Beispiel:
Ganz Österreich kennt die Geschichte, wie vor 80 Jahren zu Weihnachten (Heilig Abend im Jahr 1945 also) der damalige österreichische Bundeskanzler Leopold Figl die Österreicher im Radio gebeten hat: „Glaubt an dieses Österreich!“ Und die Österreicher haben ihm den Gefallen getan. Das andere Reich, das dritte, war ja auch gerade nicht mehr zum Glauben da, sozusagen in einem unglaubwürdigen Zustand, da glaubte man eben an Österreich. Vielleicht schwelgte (oder schwalg?) der eine oder die andere sogar im Glauben.

Danach kam jedenfalls der Wiederaufbau, der Marschall-Plan, das Wirtschaftswunder, der Staatsvertrag, die Neutralität und alles war großartig… bis der Waldheim kam. Vielleicht der Grund, warum Intelligenzbestien wie Donald Trump bis heute glauben, dass Österreich ein Land voller Waldstädte wäre.
Dabei war Waldheim nur Präsident. Und auch wenn Vollpfosten und Holzköpfe in Österreich gern mal auf dem Holzweg den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, liegt „Waldstetten“ immer noch in Deutschland (genauer: Ostalbkreis, Baden-Württemberg).
Aber egal: Wichtig ist, dass die Erfolgsgeschichte der Republik Österreich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dieser Weihnachtsansprache des Bundeskanzlers Figl 1945 angefangen hat.
Diese Weihnachtsansprache, die es - so hat es nun der Journalist Herbert Lackner herausgefunden - so nicht gegeben hat. Also schon, aber nicht 1945, sondern erst 1965.

Zwanzig Jahre später wollte sich die Republik an ihre Anfänge erinnern und was braucht man da in einem katholischen Land? Am Besten die Verquickung von Religion und Politik, einen Engel aus Niederösterreich, der zu Weihnachten mit einem Doppler in der Hand das Glaubensbekenntnis bringt. Und weil daran 1945 zu Weihnachten keiner gedacht hatte, so etwas zu machen, wurde das einfach zwanzig Jahre später nach inszeniert.
Das hat im Abendland durchaus Tradition. Die Evangelien, die das Leben Christi beschreiben, sind auch alle nach seinem Tod verfasst worden.
Teilweise über hundert Jahre später. Stört auch keinen beim Glauben.
Der Glaube versetzt eben nicht nur Berge, sondern auch Zeiten.

Und so wie sich Österreich gerne an die nicht gehaltene Weihnachtsansprache von 1945 erinnert, frag ich mich natürlich, woran wir uns demnächst erinnern können werden?
Vielleicht werden wir uns erinnern, wie Elon Musk die Astronauten von der ISS geholt hat? Nämlich nicht nur mit einer seiner Raketen, sondern persönlich. Und wie er dann statt Ihnen dort oben geblieben ist?

Oder werden wir uns erinnern, wie JD Vance und Trump sich vor die UNO hingestellt haben und gemeint haben, dass jetzt der Spaß vorbei wäre und sie jetzt wieder richtige Politik machen würden, und nur zeigen wollten, wie angreifbar so eine Demokratie wäre.
Oder werden in uns die Bilder aufsteigen, wie Wladimir Putin auf TikTok sich als schwuler Ukrainer outet, der am liebsten mit seinen rechtsradikalen Freundinnen und Freunden (ja, auch Frauen, schließlich ist Marine Le Pen auch dabei) online „Risiko“ spielt. Und zwar in Gestapo-Uniform, weil ihn das so geil macht.

Oder wird sich gar der Triumphzug der chinesischen Demokratiebewegung in unser Gedächtnis brennen, die so unerwartet und unerwartet erfolgreich aufgetreten ist, wie sonst nur der Friedensprozess samt Wirtschaftswunder im Sudan und Jemen?
Oder doch dieses seltsame Ereignis wie die CDU die Vermögenssteuer eingeführt hat?

Oder wird es die weltweite Erreichung der Klimaziele sein? Oder der Siegeszug einer App namens „friendly web“, die jedes Hass-Kommentar im Netz in konstruktive Kritik verwandelt hat?

Oder werden wir uns an diesen Newsletter erinnern, der versucht hat jedes weltpolitische Problem in einer hanebüchenen Frage aufzulösen und dabei trotzdem so unterhaltsam und geistreich war?

Nun: Werden wir uns erinnern?
Ich sage: Ja. Weil es schön gewesen sein wird. Vielleicht nicht wahr, aber schön. Und in der Erinnerung schlägt die Schönheit die Wahrheit immer. Deshalb lässt sich darin ja sehr gut schwelgen. Oder sogar schwulgen.
Ach, damals!
Da war es so schön wie... nie.
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