Der neue Glossenhauer
5. Februar 2024
Warum kommt der Neue Glossenhauer so spät?
Samstag hätte man ihn erwartet. Sonntag war auch nichts da. Nun - endlich! - am Montag trudelt er ein. Was war da los?
Ich sag’s ganz ehrlich: Der Glossenhauer kommt so spät, weil etwas wichtiges dazwischen gekommen ist. Und gegen das Wichtige lässt sich nach nichts unternehmen. Denn es ist ja schließlich wichtig. Damit aber nicht genau: Das Wichtige, das potenziert sich. Ständig.
Beispiel: Vor ein paar Jahren gab es ein Buch mit dem Titel „111 Plätze die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“ War ein Riesenerfolg.
Deshalb hat man nachgelegt: „333 Plätze die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“ - auch ein großer Erfolg.
Dann hat sich die Marketingabteilung des Buchs angenommen und die Ausgaben auf nationale Zielgruppen zugeschnitten: „111 Plätze in Deutschland, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“, „111 Plätze in Frankreich, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“, „111 Plätze in Nepal, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“ - ein großer Erfolg.
Es wurde also weiter spezifiziert. Es gibt extrem wichtige 111 Plätze in Rom, Washington und Ulanbator. Und jetzt gibt es schon die 111 wichtigsten Plätze im westlichen Mostviertel, in der unteren Oberpfalz und in Nordostmittelhessen. Das sind Gegenden, bei denen man sich bis vor kurzem gar nicht so sicher war, ob es dort überhaupt insgesamt 111 Orte gibt. Geschweige denn sehenswerte. Aber es gibt sie. Und sie sind wichtig.
Sehr sehr wichtig.
So wie alles andere. Schließlich ist alles wichtig. Und zwar gleichwichtig. Im Sinne von gleichwertig, aber auch gleichzeitig. Denn es brabbelt ja ständig aus dem Smartphone auf Dich ein. Ja, muß ja nicht sein. Natürlich könnte man das Ding weglegen und auch die Glotze ausschalten und das Radio und den Computer. Früher hat man das ab und zu gemacht. Aber damals ist die Bahn ja auch noch gefahren. Heute dagegen trägt man Powerbanks mit sich herum, damit nichts niemals ausgeschaltet werden muss. Denn man sitzt ja womöglich stundenlang in der Bahn rum.
Also ja, man könnte es tun, aber: Man kann es nicht.
Was wenn man was verpassen würde?
Diesen Newsletter zum Beispiel. Und der ist wichtig. Genauso wichtig wie der Waldbrand in Chile, wie das kränkelnde Gesundheitssystem in GB, wie das Genderverbot im Kreis Bergstraße, wie die umgestürzten Windräder im Gesamtwerk der Brontë-Schwestern, wie die orchestrale Aufführung der Benko-Tagebücher in der Oper von Tokio, wie der Einbruch in das Schuhgeschäft der Gebrüder Mirko, Mikro und Makro drei Straßen weiter, wie auch das Interview von Monika Gabalier, die ihre Liebe zum Oberbayerischen Kuhfladen in ein Musical gepackt hat, wie auch die Maisspeißpreise im Nahverkauf in der Straßenbahn Nummer 9 von Sidney, wo man sich angeregt über die die Waldbrände in Chile unterhält. Denn das ist ja wichtig.
Kurz gesagt: Es ist alles wichtig.
Und daher ist es absolut verboten zu sagen: „Ist mir egal.“
Man darf es nicht einmal gender-neutral sagen, also: „Ist mir Würstchen.“
Man ist als Nachrichten-Endkonsument nur dann ernst zu nehmen, wenn man ständig alles ernst nimmt. Man hat im ständigen Erregungszustand zu bleiben, weil man dann anschließend mehr Entspannungstee kauft und zum Schluß kommt, dass eigentlich all das daran liegt, dass diese eingewanderten Finnen jetzt das indische Restaurant betreiben. Denn das hat einem die Nachbarin erzählt und man war sofort mit ihr gemeinsam sehr erregt. Und dann hat man gesagt: „Das darf man ja nicht mehr sagen.“
Und da waren wir uns einig mit ihr und dass, obwohl keiner von uns beiden überhaupt irgendwo etwas zu sagen hatte. Weder zuhause, noch sonst wo.
Woran natürlich die Schluckimpfung aus der Kindheit schuld ist. Denn da war noch alles gut. Und warum? Weil man selber noch blöder war als heute und nichts kapiert hatte.
Und natürlich auch weil das Fernsehen noch die Bundeshymne gesendet hatte und danach - nichts. Einfach nichts gesendet. Das stelle man sich heute vor. Wenn das Fernsehen heute plötzlich Schluß machen würde. Was wäre da auf den Straßen los?!
Nichts.
Dafür würden sich alle gegenseitig Nachrichten schreiben, in denen stehen würde: „Hast Du gesehen? Nichts!“ Und dann würden sich alle Fotos von den Bildschirmen schicken, die nichts zeigen und würden die Nichts-zeigenden-Bildschirme auf Facebook und den anderen sozialen Netzwerken hochladen und würden sich gegenseitig erinnern, wie arg das war. Dieses Nichts. Das auch so gepaart war mit einem Gefühl des Nichts.
Und noch mehr Fotos von Leeren Bildschirmen würden die Netze fluten, mehr leere Bildschirme als Pornos, Waldbrände und Katzenvideos zusammen gäbe es plötzlich. Überall sähe man nur Fotos und Videos von nichts-zeigenden Bildschirmen.
Und man fragt sich, was das die Sender eigentlich dazu sagen? Und dann schaltet man die TV Geräte ein und um und weiter und es kommt aber: nichts. Und die Politiker werden nervös, weil sie jetzt eine Pressekonferenz geplant hatten, aber es wird keiner davon berichten, weil alle nur darüber berichten, dass im Fernsehen nichts berichtet wird.
Das Nichts wird Die Meldung. Weltweit.
Und die Satiriker werden sich erschiessen, weil sie keine Wortmeldungen von Politikern mehr bekommen, über die sie sich lustig machen können. Und auch keine Berichte über die orchestrale Aufführung der Benko Oper, ja, nicht einmal eine Meldung über einen Einbruch in ein Schuhgeschäft. Nichts bekommen sie.
Und so werden die toten Satiriker aus den Fenstern hängen unter denen nervös telefonierende Politiker auf und ab gehen, was Normalerweise eine super Meldung wäre, aber keiner wird darüber berichten, weil alle nur auf diese toten Bildschirme starren. Denn diese sind zwar Nichts aber - das wird sich zeigen - hoch ansteckend.
Ein hoch ansteckendes Nichts.
Alle sind fasziniert von diesem Bildschirm, der nichts zeigt. Und dann versuchen sie das nachzumachen auf ihren Computer und Smartphones. Da sagt natürlich der eine oder andere Videokünstler, er mache das eigentlich schon seit Jahren, aber das interessiert keinen - genau wie vorher.
Aber da passiert es plötzlich: einem fällt das Ding mit Bildschirm runter und - zack! - der Bildschirm ist kaputt und zeigt: Nichts.
Und er postet es mit seinem anderen Ding mit Bildschirm (und Kamera!) und zeigt allen, wie es geht. Und dann schmeißen alle begeistert ihre Handys, Tablets und ihre anderen elektronischen Geräte auf den Boden und eins nach dem anderen geht kaputt und alle sind begeistert, denn endlich zeigt das Ding nichts.
Und #nothing wird der trendige Hashtag, den aber keiner mehr sieht, weil alle auf ihre kaputten Bildschirme starren.
Und dann ist es plötzlich ruhig.
Bis irgendwer sagt: „Wie geht’S eigentlich dem Gesundheitssystem bei der Oper von Tokio, wo die Monika den gebratenen Mais in der Straßenbahn verkauft?“
Dann sagt irgendwer: „Ist mir wurst.“
Und darauf sagt ein anderer: „Das heißt: Würstchen.“
Darauf ein Dritter: „Ist das wichtig?“
Und dann gehen alle nach Hause und denken über das Wort „Wichtig“ nach. Und wer eigentlich der Wicht ist, der sich darin versteckt hat.
Und dann kommt einer auf die Idee und schreibt ein Buch:
„111 Sachen, die Du nicht gesehen haben musst.“
5. Februar 2024
Warum kommt der Neue Glossenhauer so spät?
Samstag hätte man ihn erwartet. Sonntag war auch nichts da. Nun - endlich! - am Montag trudelt er ein. Was war da los?
Ich sag’s ganz ehrlich: Der Glossenhauer kommt so spät, weil etwas wichtiges dazwischen gekommen ist. Und gegen das Wichtige lässt sich nach nichts unternehmen. Denn es ist ja schließlich wichtig. Damit aber nicht genau: Das Wichtige, das potenziert sich. Ständig.
Beispiel: Vor ein paar Jahren gab es ein Buch mit dem Titel „111 Plätze die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“ War ein Riesenerfolg.
Deshalb hat man nachgelegt: „333 Plätze die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“ - auch ein großer Erfolg.
Dann hat sich die Marketingabteilung des Buchs angenommen und die Ausgaben auf nationale Zielgruppen zugeschnitten: „111 Plätze in Deutschland, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“, „111 Plätze in Frankreich, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“, „111 Plätze in Nepal, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt.“ - ein großer Erfolg.
Es wurde also weiter spezifiziert. Es gibt extrem wichtige 111 Plätze in Rom, Washington und Ulanbator. Und jetzt gibt es schon die 111 wichtigsten Plätze im westlichen Mostviertel, in der unteren Oberpfalz und in Nordostmittelhessen. Das sind Gegenden, bei denen man sich bis vor kurzem gar nicht so sicher war, ob es dort überhaupt insgesamt 111 Orte gibt. Geschweige denn sehenswerte. Aber es gibt sie. Und sie sind wichtig.
Sehr sehr wichtig.
So wie alles andere. Schließlich ist alles wichtig. Und zwar gleichwichtig. Im Sinne von gleichwertig, aber auch gleichzeitig. Denn es brabbelt ja ständig aus dem Smartphone auf Dich ein. Ja, muß ja nicht sein. Natürlich könnte man das Ding weglegen und auch die Glotze ausschalten und das Radio und den Computer. Früher hat man das ab und zu gemacht. Aber damals ist die Bahn ja auch noch gefahren. Heute dagegen trägt man Powerbanks mit sich herum, damit nichts niemals ausgeschaltet werden muss. Denn man sitzt ja womöglich stundenlang in der Bahn rum.
Also ja, man könnte es tun, aber: Man kann es nicht.
Was wenn man was verpassen würde?
Diesen Newsletter zum Beispiel. Und der ist wichtig. Genauso wichtig wie der Waldbrand in Chile, wie das kränkelnde Gesundheitssystem in GB, wie das Genderverbot im Kreis Bergstraße, wie die umgestürzten Windräder im Gesamtwerk der Brontë-Schwestern, wie die orchestrale Aufführung der Benko-Tagebücher in der Oper von Tokio, wie der Einbruch in das Schuhgeschäft der Gebrüder Mirko, Mikro und Makro drei Straßen weiter, wie auch das Interview von Monika Gabalier, die ihre Liebe zum Oberbayerischen Kuhfladen in ein Musical gepackt hat, wie auch die Maisspeißpreise im Nahverkauf in der Straßenbahn Nummer 9 von Sidney, wo man sich angeregt über die die Waldbrände in Chile unterhält. Denn das ist ja wichtig.
Kurz gesagt: Es ist alles wichtig.
Und daher ist es absolut verboten zu sagen: „Ist mir egal.“
Man darf es nicht einmal gender-neutral sagen, also: „Ist mir Würstchen.“
Man ist als Nachrichten-Endkonsument nur dann ernst zu nehmen, wenn man ständig alles ernst nimmt. Man hat im ständigen Erregungszustand zu bleiben, weil man dann anschließend mehr Entspannungstee kauft und zum Schluß kommt, dass eigentlich all das daran liegt, dass diese eingewanderten Finnen jetzt das indische Restaurant betreiben. Denn das hat einem die Nachbarin erzählt und man war sofort mit ihr gemeinsam sehr erregt. Und dann hat man gesagt: „Das darf man ja nicht mehr sagen.“
Und da waren wir uns einig mit ihr und dass, obwohl keiner von uns beiden überhaupt irgendwo etwas zu sagen hatte. Weder zuhause, noch sonst wo.
Woran natürlich die Schluckimpfung aus der Kindheit schuld ist. Denn da war noch alles gut. Und warum? Weil man selber noch blöder war als heute und nichts kapiert hatte.
Und natürlich auch weil das Fernsehen noch die Bundeshymne gesendet hatte und danach - nichts. Einfach nichts gesendet. Das stelle man sich heute vor. Wenn das Fernsehen heute plötzlich Schluß machen würde. Was wäre da auf den Straßen los?!
Nichts.
Dafür würden sich alle gegenseitig Nachrichten schreiben, in denen stehen würde: „Hast Du gesehen? Nichts!“ Und dann würden sich alle Fotos von den Bildschirmen schicken, die nichts zeigen und würden die Nichts-zeigenden-Bildschirme auf Facebook und den anderen sozialen Netzwerken hochladen und würden sich gegenseitig erinnern, wie arg das war. Dieses Nichts. Das auch so gepaart war mit einem Gefühl des Nichts.
Und noch mehr Fotos von Leeren Bildschirmen würden die Netze fluten, mehr leere Bildschirme als Pornos, Waldbrände und Katzenvideos zusammen gäbe es plötzlich. Überall sähe man nur Fotos und Videos von nichts-zeigenden Bildschirmen.
Und man fragt sich, was das die Sender eigentlich dazu sagen? Und dann schaltet man die TV Geräte ein und um und weiter und es kommt aber: nichts. Und die Politiker werden nervös, weil sie jetzt eine Pressekonferenz geplant hatten, aber es wird keiner davon berichten, weil alle nur darüber berichten, dass im Fernsehen nichts berichtet wird.
Das Nichts wird Die Meldung. Weltweit.
Und die Satiriker werden sich erschiessen, weil sie keine Wortmeldungen von Politikern mehr bekommen, über die sie sich lustig machen können. Und auch keine Berichte über die orchestrale Aufführung der Benko Oper, ja, nicht einmal eine Meldung über einen Einbruch in ein Schuhgeschäft. Nichts bekommen sie.
Und so werden die toten Satiriker aus den Fenstern hängen unter denen nervös telefonierende Politiker auf und ab gehen, was Normalerweise eine super Meldung wäre, aber keiner wird darüber berichten, weil alle nur auf diese toten Bildschirme starren. Denn diese sind zwar Nichts aber - das wird sich zeigen - hoch ansteckend.
Ein hoch ansteckendes Nichts.
Alle sind fasziniert von diesem Bildschirm, der nichts zeigt. Und dann versuchen sie das nachzumachen auf ihren Computer und Smartphones. Da sagt natürlich der eine oder andere Videokünstler, er mache das eigentlich schon seit Jahren, aber das interessiert keinen - genau wie vorher.
Aber da passiert es plötzlich: einem fällt das Ding mit Bildschirm runter und - zack! - der Bildschirm ist kaputt und zeigt: Nichts.
Und er postet es mit seinem anderen Ding mit Bildschirm (und Kamera!) und zeigt allen, wie es geht. Und dann schmeißen alle begeistert ihre Handys, Tablets und ihre anderen elektronischen Geräte auf den Boden und eins nach dem anderen geht kaputt und alle sind begeistert, denn endlich zeigt das Ding nichts.
Und #nothing wird der trendige Hashtag, den aber keiner mehr sieht, weil alle auf ihre kaputten Bildschirme starren.
Und dann ist es plötzlich ruhig.
Bis irgendwer sagt: „Wie geht’S eigentlich dem Gesundheitssystem bei der Oper von Tokio, wo die Monika den gebratenen Mais in der Straßenbahn verkauft?“
Dann sagt irgendwer: „Ist mir wurst.“
Und darauf sagt ein anderer: „Das heißt: Würstchen.“
Darauf ein Dritter: „Ist das wichtig?“
Und dann gehen alle nach Hause und denken über das Wort „Wichtig“ nach. Und wer eigentlich der Wicht ist, der sich darin versteckt hat.
Und dann kommt einer auf die Idee und schreibt ein Buch:
„111 Sachen, die Du nicht gesehen haben musst.“