Der neue Glossenhauer
Zur Zeit wird viel über die Normalität geredet. Was Normal ist und was nicht. Und das sind sehr ertragreiche Diskussionen, die sich durch ihre extreme Ergebnisarmut auszeichnen. Denn normal ist ein wunderbarer Begriff: Da können sich alle etwas drunter vorstellen, jeder hat recht und niemand muß etwas einsehen. Denn - hallo! - normal ist ja wohl klar, was das ist.
Dabei kann das Normale schon von Haus zu Haus ganz unterschiedlich ausfallen. Ist es in dem einen Haus ganz normal, daß Mutti dem Vati nach 22 Uhr auf dessen Verlangen hin den Popo versohlt, ist es in dem anderen Haus ganz normal, daß Mutti zweimal die Woche gegen eine Türe gelaufen ist und der Vati und sein Alkoholproblem nichts damit zu tun haben.
Das ist alles ganz normal.
Im Gegensatz zum Durchschnitt, der einen mathematisch ermittelbaren Wert darstellt und von den Daten abhängt, die man als Grundlage seiner Berechnung heranzieht, ist die Norm dagegen keine naturwissenschaftlich überprüfbare Einheit. Sie lässt sich nicht berechnen, sie lässt sich nur behaupten. Sie ist eine Beruhigung. Sie gibt einer ausreichend großen Menge von Menschen das Gefühl, daß das okay ist, was sie tun. Ob diese jetzt in den Urlaub fliegen, mit Bier gefüllten Plastikbechern durch Innenstädte ziehen, ob sie jeden Tag dieselben 50km im selben Fahrzeug im selben Stau stehen, egal, sie müssen keinesfalls über eine Veränderung ihres Verhaltens nachdenken. Denn: Das ist normal.
Vielleicht auch sinnlos, zerstörerisch und idiotisch, aber auf jeden Fall normal.
Die Normalität ist das Versprechen, daß Du über Dein Verhalten nicht nachdenken mußt.
Und hier kommt der Herr Landeshauptfrau von Niederösterreich ins Spiel. Das oberste Landeshauptwesen hat nämlich gemeint, es repräsentiere die „normaldenkende Mehrheit“.
Das ist eine schöne Behauptung. Erst recht, wenn man zusammen mit einer rechtsextremen Partei eine Landesregierung bildet. Nur, sie stimmt halt nicht.
Denn (siehe oben) wer normal ist, denkt eben überhaupt nicht. Muß er auch nicht. Er ist ja normal. Glück gehabt. Die anderen, die die nur ein Bein haben oder sich intim zu älteren Herrn mit dritten Zähnen hingezogen fühlen, die die gerne in grünen Latexkostümen barfuß über abgemähte Felder rennen, oder die mit einem FC Liverpool Shirt durch Manchester spazieren… die sollen doch bitte mal nachdenken, ob sie noch ganz normal sind. Aber die Normaldenkenden müssen nicht denken. Gottseidank, sie sind ja normal.
Erst recht in Niederösterreich.
Da gab es nämlich erst dieser Tage ganz erstaunliche Zeugnisse über die Normalität des Landes. Eine kleine Gemeinde im Mostviertel, nicht allzu weit von der schönen Stadt Amstetten entfernt, hat nämlich festgestellt, daß der erste österreichische Diktator aus eigenem Anbau, Engelbert Dollfuß, Ehrenbürger der Gemeinde bleiben darf.
Wer sich jetzt wundert, daß er von diesem homegrown Faschist noch nie etwa gehört hat, ist entweder aus Deutschland, historisch tendenziell uninteressiert oder hatte Geschichtsunterricht auf einer österreichischen, katholischen Privatschule.
Kurz zusammengefasst war es so: Die Italiener hatten den Faschismus, die Deutschen den Nationalsozialismus, nur in Österreich gab es beides. Wir sind nach rechtsaußen eben vielseitig talentiert.
Die größten Errungenschaften dieses nicht sehr großen Mannes waren es, das Parlament auszuschalten, die Demokratie abzuschaffen, viele katholische Messen lesen zu lassen, die sozialdemokratische Opposition niederzuschießen, und sich anschließend von den Nazis umbringen zu lassen. Und das alles in nicht einmal eineinhalb Jahren. Fleißig, ja, aber vielleicht trotzdem kein Mann, den eine Gemeinde eines demokratischen Staates als Ehrenbürger führen sollte.
Doch, sagt die Gemeinde, und zwar mit folgender Begründung: Es hätte sich nämlich an der Rechtsgrundlage nichts geändert. Denn Dollfuß wurde Oktober 1933 zum Ehrenbürger der Gemeinde erklärt, da hatte er das Parlament schon ausgeschaltet und die Demokratie bereits abgeschafft. In anderen Worten: Dem Gemeinderat war schon 1933 klar, daß hier ein Austrofaschist und Antidemokrat zum Ehrenbürger gemacht wurde. So wie es ihm das auch heute ist. Und in Niederösterreich ist das alles ganz normal.
Waren die Normannen normal? Für sich sicher. Aber ob die ausgeplünderten Klöster, angegriffenen Städte, verschleppten Bauern dieses normative normannische Verhalten als normal bezeichnet hätten, darf bezweifelt werden.
Was normal ist und was nicht, ist normalerweise von Norm zu Norm ganz unterschiedlich. Oder wie sagt der Dichter? „Ich schaffe an und Du setzt um/ ich sag „Jetzt“ und Du fragst nicht „Warum?“/ Ja, das gehört zum Praktischen/ An der normativen Kraft des Faktischen!“
Ist das noch normal?
16. Juli 2023Zur Zeit wird viel über die Normalität geredet. Was Normal ist und was nicht. Und das sind sehr ertragreiche Diskussionen, die sich durch ihre extreme Ergebnisarmut auszeichnen. Denn normal ist ein wunderbarer Begriff: Da können sich alle etwas drunter vorstellen, jeder hat recht und niemand muß etwas einsehen. Denn - hallo! - normal ist ja wohl klar, was das ist.
Dabei kann das Normale schon von Haus zu Haus ganz unterschiedlich ausfallen. Ist es in dem einen Haus ganz normal, daß Mutti dem Vati nach 22 Uhr auf dessen Verlangen hin den Popo versohlt, ist es in dem anderen Haus ganz normal, daß Mutti zweimal die Woche gegen eine Türe gelaufen ist und der Vati und sein Alkoholproblem nichts damit zu tun haben.
Das ist alles ganz normal.
Im Gegensatz zum Durchschnitt, der einen mathematisch ermittelbaren Wert darstellt und von den Daten abhängt, die man als Grundlage seiner Berechnung heranzieht, ist die Norm dagegen keine naturwissenschaftlich überprüfbare Einheit. Sie lässt sich nicht berechnen, sie lässt sich nur behaupten. Sie ist eine Beruhigung. Sie gibt einer ausreichend großen Menge von Menschen das Gefühl, daß das okay ist, was sie tun. Ob diese jetzt in den Urlaub fliegen, mit Bier gefüllten Plastikbechern durch Innenstädte ziehen, ob sie jeden Tag dieselben 50km im selben Fahrzeug im selben Stau stehen, egal, sie müssen keinesfalls über eine Veränderung ihres Verhaltens nachdenken. Denn: Das ist normal.
Vielleicht auch sinnlos, zerstörerisch und idiotisch, aber auf jeden Fall normal.
Die Normalität ist das Versprechen, daß Du über Dein Verhalten nicht nachdenken mußt.
Und hier kommt der Herr Landeshauptfrau von Niederösterreich ins Spiel. Das oberste Landeshauptwesen hat nämlich gemeint, es repräsentiere die „normaldenkende Mehrheit“.
Das ist eine schöne Behauptung. Erst recht, wenn man zusammen mit einer rechtsextremen Partei eine Landesregierung bildet. Nur, sie stimmt halt nicht.
Denn (siehe oben) wer normal ist, denkt eben überhaupt nicht. Muß er auch nicht. Er ist ja normal. Glück gehabt. Die anderen, die die nur ein Bein haben oder sich intim zu älteren Herrn mit dritten Zähnen hingezogen fühlen, die die gerne in grünen Latexkostümen barfuß über abgemähte Felder rennen, oder die mit einem FC Liverpool Shirt durch Manchester spazieren… die sollen doch bitte mal nachdenken, ob sie noch ganz normal sind. Aber die Normaldenkenden müssen nicht denken. Gottseidank, sie sind ja normal.
Erst recht in Niederösterreich.
Da gab es nämlich erst dieser Tage ganz erstaunliche Zeugnisse über die Normalität des Landes. Eine kleine Gemeinde im Mostviertel, nicht allzu weit von der schönen Stadt Amstetten entfernt, hat nämlich festgestellt, daß der erste österreichische Diktator aus eigenem Anbau, Engelbert Dollfuß, Ehrenbürger der Gemeinde bleiben darf.
Wer sich jetzt wundert, daß er von diesem homegrown Faschist noch nie etwa gehört hat, ist entweder aus Deutschland, historisch tendenziell uninteressiert oder hatte Geschichtsunterricht auf einer österreichischen, katholischen Privatschule.
Kurz zusammengefasst war es so: Die Italiener hatten den Faschismus, die Deutschen den Nationalsozialismus, nur in Österreich gab es beides. Wir sind nach rechtsaußen eben vielseitig talentiert.
Die größten Errungenschaften dieses nicht sehr großen Mannes waren es, das Parlament auszuschalten, die Demokratie abzuschaffen, viele katholische Messen lesen zu lassen, die sozialdemokratische Opposition niederzuschießen, und sich anschließend von den Nazis umbringen zu lassen. Und das alles in nicht einmal eineinhalb Jahren. Fleißig, ja, aber vielleicht trotzdem kein Mann, den eine Gemeinde eines demokratischen Staates als Ehrenbürger führen sollte.
Doch, sagt die Gemeinde, und zwar mit folgender Begründung: Es hätte sich nämlich an der Rechtsgrundlage nichts geändert. Denn Dollfuß wurde Oktober 1933 zum Ehrenbürger der Gemeinde erklärt, da hatte er das Parlament schon ausgeschaltet und die Demokratie bereits abgeschafft. In anderen Worten: Dem Gemeinderat war schon 1933 klar, daß hier ein Austrofaschist und Antidemokrat zum Ehrenbürger gemacht wurde. So wie es ihm das auch heute ist. Und in Niederösterreich ist das alles ganz normal.
Waren die Normannen normal? Für sich sicher. Aber ob die ausgeplünderten Klöster, angegriffenen Städte, verschleppten Bauern dieses normative normannische Verhalten als normal bezeichnet hätten, darf bezweifelt werden.
Was normal ist und was nicht, ist normalerweise von Norm zu Norm ganz unterschiedlich. Oder wie sagt der Dichter? „Ich schaffe an und Du setzt um/ ich sag „Jetzt“ und Du fragst nicht „Warum?“/ Ja, das gehört zum Praktischen/ An der normativen Kraft des Faktischen!“
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