Der neue Glossenhauer
Man kennt das ja. Irgendwo - meist zu vorgerückter Stunde - steht plötzlich ein sogenannter Schnaps vor einem, oder auch Hausbrand oder Rachenputzer oder Schädelspalter oder ein anderer Name für ein Getränk, das in zivilisierteren Gegenden dazu verwendet wird, Hochöfen zu reinigen, Hunde einzuschläfern, oder Erbstreitigkeiten in der Familie zu beenden.
Hier aber ist es dazu da, den Gast innerlich auszukärchern. Und der Gast muss trinken.
Er kann nicht nein sagen. Denn dann kommt das ultimative Argument: „Bei uns macht man das so.“
Wo genau bei uns ist, ist egal. Das kann in Franken/Kroatien/Ulanbator/New Mexiko/Kinshasa/Feuerland oder im inneren eines Brachiosaurus sein. „Bei uns macht man das so“ bleibt. Denn das ist die Begründung für eine Zwangsmaßnahme, die der Sprecher - oder die Sprecherin - an dem Angesprochenen vollführt. Die Legitimation eines Übergriffs durch behauptete Tradition.
Denn überprüfbar ist das nicht. Dafür bleibt keine Zeit. Denn die Maßnahme wird bereits vollführt. Ob Gnackwatschen (hochdeutsch: Nackenschlag) zur Begrüßung…, ob langes Hochziehen des Rotzes durch die Nebenhöhlen, um diesen dann gezielt auf das Essen auf dem Teller zu spucken, den man gleich serviert…, ob mit guten 50 Sachen mit dem Geländewagen in das Büro des Kindergarten donnern, um den Nachwuchs abzuholen… bei uns machen wir das so.
Wer „wir“ ist, bleibt ebenso undefiniert. Wahrscheinlich die paar, die hier noch wohnen. Denn schließlich sind alle, die „das“ nicht „so“ machen wollten, bereits ausgewandert. Was - so sind sich die Zurückgebliebene sicher - die Schuld der Bilderberger und ihrer internationalistischen New-World-Order-Anhänger ist, schließlich haben die auch das Solarkraftwerk erfunden, weshalb die Kohlengrube 20km weiter geschlossen wurde, die so viele Leute in Lohn und Brot und Lungenheilanstalt und Friedhof gebracht hatte.
Wer auf keinen Fall schuld ist, sind die, die noch da sind. Denn die machen das bei sich so.
Das ist Tradition: 90 Prozent Behauptung und 10 Prozent Vertreibung derjenigen, die anderer Meinung sind. Deshalb ist die Tradition auch immer einstimmig - und immer unvollständig.
Das Problem an den fehlenden Stimmen ist: man hört sie „bei uns“ nicht. Dabei könnte man so viel von ihnen erfahren. Es heißt doch: Aus Fehlenden lernen.
Und es fehlt ja zur Zeit recht viel.
Das Geld von René Benko zum Beispiel. Das ist weg. Also futsch. Mit einem Wort: Verschwunden. Blöd für ihn ist, dass er noch da ist. Weswegen ihn man jetzt fragt, wo die Marie* geblieben ist.
(*Marie: Wienerisch für: Geld, Kohle, Schotter, Kies, Gerschtl, Penunzen oder schlicht: das allgemein akzeptierte Zahlungsmittel.) Vor einem halben Jahr wurde der Mann noch auf fünf Milliarden geschätzt, heute meldet er Konkurs an. So schnell kann es gehen.
Wobei man aber nicht weiß, welcher Art diese fünf Milliarden waren. Vielleicht waren es ja nur fünf Milliarden Ziegelsteine. Das wäre für einen Immobilienspek… Pardon…für einen Immobilienentwickler, der gerne spek… spek… Spektakel veranstaltet hat ja gar nicht so viel. Vielleicht waren es auch fünf Milliarden Firmen und Subfirmen und Subsubfirmen, die sich gegenseitig die Zieglein hin und her geschoben haben. Wie im Märchen „Zieglein deck Dich“.
Oder fünf Milliarden Aufsichtsräte, Kontakte, Geschäftspartner, „gute“ Freunde, ausrangierte Politiker und geldgeile Mit-Investoren, die das „Phänomen Benko“ erst ermöglicht haben. Und jetzt ihre Hände in Unschuld waschen. Einander. Gegenseitig. Schließlich wäscht immer noch eine Hand die andere. Und dann ist alles „sauber“.
Wer noch besser Bescheid weiß über gute Freunde, Geldwäsche und das Verschwinden als solches ist ein anderer Österreicher: Jan Marsalek. Konnte man dieser Tage lesen.
Doch der Unterschied ist groß: Benko ist Tiroler, Marsalek Wiener. Merkt man sofort.
Benkos Geschichte ist die eines Bergbewohners: Aufstieg und Fall. So ist das in den Bergen. Da gehts immer erst auffi, auffi, auffi und dann owi. Und wenn man daneben tritt, kann es sehr schnell gehen. Dann sind alle traurig, aber da macht sich schon der nächste Hirn… äh… Hoffnungsträger auf den Weg zum Gipfel. So sind sie die Tiroler.
Der Wiener dagegen sitzt im Kaffeehaus, auch wenn das in München steht, redet mit dem, dann mit dem, dann mit jenem und auch noch diesem, verknüpft, spricht an, macht Andeutungen, ermöglicht Geschäfte, lädt alle ein, ruft dem Kellner (der natürlich in Wien „Ober“ heißt, damit der Gast weiß, dass er der „Unter“ ist) „Zahlen bitte!“, geht kurz auf die Toilette und … kehrt nie wieder zurück.
Und dann kommen die Angesprochen, die Vernetzten und Eingeladenen drauf, dass was fehlt. Denn er hat ihre Mäntel und Taschen mitgenommen. Und sie kommen drauf, dass sie die Rechnung zahlen müssen. Die Kleinigkeit von 1,9 Milliarden Milchkaffee.
Und die Zurückgelassenen und über den Kaffeehaustisch-Gezogenen fragen sich, wie er das bewerkstelligt hat. Bis man drauf kommt, dass er die ganze Zeit mit dieser Bande von russischen Schutzgelderpressern zusammengearbeitet hat, die gerade nebenan den Laden für ukrainische Delikatessen kurz und klein schlagen.
Und sollte man die irgendwann mal zu greifen bekommen. Was werden die wohl zu ihrer Verteidigung sagen? Wahrscheinlich: „Bei uns macht man das so.“
Was fehlt. Fehlt was?
11. März 2024Man kennt das ja. Irgendwo - meist zu vorgerückter Stunde - steht plötzlich ein sogenannter Schnaps vor einem, oder auch Hausbrand oder Rachenputzer oder Schädelspalter oder ein anderer Name für ein Getränk, das in zivilisierteren Gegenden dazu verwendet wird, Hochöfen zu reinigen, Hunde einzuschläfern, oder Erbstreitigkeiten in der Familie zu beenden.
Hier aber ist es dazu da, den Gast innerlich auszukärchern. Und der Gast muss trinken.
Er kann nicht nein sagen. Denn dann kommt das ultimative Argument: „Bei uns macht man das so.“
Wo genau bei uns ist, ist egal. Das kann in Franken/Kroatien/Ulanbator/New Mexiko/Kinshasa/Feuerland oder im inneren eines Brachiosaurus sein. „Bei uns macht man das so“ bleibt. Denn das ist die Begründung für eine Zwangsmaßnahme, die der Sprecher - oder die Sprecherin - an dem Angesprochenen vollführt. Die Legitimation eines Übergriffs durch behauptete Tradition.
Denn überprüfbar ist das nicht. Dafür bleibt keine Zeit. Denn die Maßnahme wird bereits vollführt. Ob Gnackwatschen (hochdeutsch: Nackenschlag) zur Begrüßung…, ob langes Hochziehen des Rotzes durch die Nebenhöhlen, um diesen dann gezielt auf das Essen auf dem Teller zu spucken, den man gleich serviert…, ob mit guten 50 Sachen mit dem Geländewagen in das Büro des Kindergarten donnern, um den Nachwuchs abzuholen… bei uns machen wir das so.
Wer „wir“ ist, bleibt ebenso undefiniert. Wahrscheinlich die paar, die hier noch wohnen. Denn schließlich sind alle, die „das“ nicht „so“ machen wollten, bereits ausgewandert. Was - so sind sich die Zurückgebliebene sicher - die Schuld der Bilderberger und ihrer internationalistischen New-World-Order-Anhänger ist, schließlich haben die auch das Solarkraftwerk erfunden, weshalb die Kohlengrube 20km weiter geschlossen wurde, die so viele Leute in Lohn und Brot und Lungenheilanstalt und Friedhof gebracht hatte.
Wer auf keinen Fall schuld ist, sind die, die noch da sind. Denn die machen das bei sich so.
Das ist Tradition: 90 Prozent Behauptung und 10 Prozent Vertreibung derjenigen, die anderer Meinung sind. Deshalb ist die Tradition auch immer einstimmig - und immer unvollständig.
Das Problem an den fehlenden Stimmen ist: man hört sie „bei uns“ nicht. Dabei könnte man so viel von ihnen erfahren. Es heißt doch: Aus Fehlenden lernen.
Und es fehlt ja zur Zeit recht viel.
Das Geld von René Benko zum Beispiel. Das ist weg. Also futsch. Mit einem Wort: Verschwunden. Blöd für ihn ist, dass er noch da ist. Weswegen ihn man jetzt fragt, wo die Marie* geblieben ist.
(*Marie: Wienerisch für: Geld, Kohle, Schotter, Kies, Gerschtl, Penunzen oder schlicht: das allgemein akzeptierte Zahlungsmittel.) Vor einem halben Jahr wurde der Mann noch auf fünf Milliarden geschätzt, heute meldet er Konkurs an. So schnell kann es gehen.
Wobei man aber nicht weiß, welcher Art diese fünf Milliarden waren. Vielleicht waren es ja nur fünf Milliarden Ziegelsteine. Das wäre für einen Immobilienspek… Pardon…für einen Immobilienentwickler, der gerne spek… spek… Spektakel veranstaltet hat ja gar nicht so viel. Vielleicht waren es auch fünf Milliarden Firmen und Subfirmen und Subsubfirmen, die sich gegenseitig die Zieglein hin und her geschoben haben. Wie im Märchen „Zieglein deck Dich“.
Oder fünf Milliarden Aufsichtsräte, Kontakte, Geschäftspartner, „gute“ Freunde, ausrangierte Politiker und geldgeile Mit-Investoren, die das „Phänomen Benko“ erst ermöglicht haben. Und jetzt ihre Hände in Unschuld waschen. Einander. Gegenseitig. Schließlich wäscht immer noch eine Hand die andere. Und dann ist alles „sauber“.
Wer noch besser Bescheid weiß über gute Freunde, Geldwäsche und das Verschwinden als solches ist ein anderer Österreicher: Jan Marsalek. Konnte man dieser Tage lesen.
Doch der Unterschied ist groß: Benko ist Tiroler, Marsalek Wiener. Merkt man sofort.
Benkos Geschichte ist die eines Bergbewohners: Aufstieg und Fall. So ist das in den Bergen. Da gehts immer erst auffi, auffi, auffi und dann owi. Und wenn man daneben tritt, kann es sehr schnell gehen. Dann sind alle traurig, aber da macht sich schon der nächste Hirn… äh… Hoffnungsträger auf den Weg zum Gipfel. So sind sie die Tiroler.
Der Wiener dagegen sitzt im Kaffeehaus, auch wenn das in München steht, redet mit dem, dann mit dem, dann mit jenem und auch noch diesem, verknüpft, spricht an, macht Andeutungen, ermöglicht Geschäfte, lädt alle ein, ruft dem Kellner (der natürlich in Wien „Ober“ heißt, damit der Gast weiß, dass er der „Unter“ ist) „Zahlen bitte!“, geht kurz auf die Toilette und … kehrt nie wieder zurück.
Und dann kommen die Angesprochen, die Vernetzten und Eingeladenen drauf, dass was fehlt. Denn er hat ihre Mäntel und Taschen mitgenommen. Und sie kommen drauf, dass sie die Rechnung zahlen müssen. Die Kleinigkeit von 1,9 Milliarden Milchkaffee.
Und die Zurückgelassenen und über den Kaffeehaustisch-Gezogenen fragen sich, wie er das bewerkstelligt hat. Bis man drauf kommt, dass er die ganze Zeit mit dieser Bande von russischen Schutzgelderpressern zusammengearbeitet hat, die gerade nebenan den Laden für ukrainische Delikatessen kurz und klein schlagen.
Und sollte man die irgendwann mal zu greifen bekommen. Was werden die wohl zu ihrer Verteidigung sagen? Wahrscheinlich: „Bei uns macht man das so.“
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