Severin Groebners Newsletter
Groebners neuer Glossenhauer
Der neue Glossenhauer

Feelings, nothing more than feelings

24. Juli 2024

Ja, ich muß es zugeben: Für einen wöchentlichen Newsletter ist ein Rhythmus von 21 Tagen recht tolerant.

Und ich bin auch ein toleranter Typ. Vor allem mir selbst gegenüber.
Ist auch sehr wichtig, da es die Toleranz ja zur Zeit gar nicht so leicht hat.
Erstens grundsätzlich und zweitens überhaupt. Und drittens wegen sowieso.
Dem nicht genug haben wir ja auch noch Superwahljahr.

Bis vor kurzem haben etwa in den USA noch zwei Tattergreise um das vielleicht wichtigste Amt der Welt (Nach dem Chef des IOC) gezittert… äh … gerittert. Jetzt ist einer weg und der andere sieht plötzlich doppelt so alt aus, wie die beiden vorher zusammen.
Trotzdem gibt es Leute, die auf die neue Kandidatin der Demokraten blicken und sich fragen: Kann die das?

Tatsächlich ist das eine schwierige Entscheidung: Auf der einen Seite ein pleite gegangener, verurteilter Bau-Unternehmer, der sich in seiner Freizeit gerne mit Porno-Darstellerinnen trifft und eine Zweit-Karriere als Reality-TV-Star gemacht hat und in seiner ersten (und hoffentlich letzten) Präsidentschaft sich gerne mit Freunden der Unfreiheit wie Putin und Kim Jung Un getroffen hat.

Auf der anderen Seite eine studierte Juristin und Staatsanwältin, die in ihrem Amt als Vizepräsidentin sich für Frauenrechte stark gemacht hat.

Hmmm schwierig.
Wen hätte man lieber als Chef des mächtigsten Staates der Erde? Mal nachdenken.

Aber natürlich geht es bei Wahlentscheidungen nicht nur um das Rationale. Im Gegenteil eigentlich. Mehr und mehr setzen die meisten Menschen beim Wählen aufs Bauchgefühl. Und wenn die am Vortag was schlechtes gegessen haben, dann wählen sie einfach Menschen und Parteien, die eigentlich zum Kotzen sind und nur geistigen Dünnpfiff von sich geben. Aber dafür sehr gut auf Emotionen setzen.

Die extreme Rechte (vulgo „Rechtspopulisten“, unter Fachleuten auch PaPP genannt - „Personen auf Putins Payroll“) die setzt ja europaweit auf die schlechte, alte Emotion: Angst.
Angst vor Abstieg, Angst vor Fremden. Angst vor Veränderung.
Und aus dieser Angst destillieren sie dann geschickt eine weitere Emotion, wie Weinbrand aus Wein, quasi den Furchtgeist aus der Furcht, nämlich: Wut.
Wut auf die Regierungen, Wut auf Ausländer, Wut auf Fahrradfahrer.

Da braucht es Gegen-Emotionen. Emotionen, die den rechten Emotionen entgegen stehen.
Diese müssen aber natürlich auch zu den Parteien passen. Wie wäre es mit: Langeweile.

Langeweile ist eine sehr starke Emotion, die vor allem bei Jungwählern verbreitet ist („Mir ist so langweilig!“), da könnte die gerade die Familienpartei Sozialdemokratie ihre Kernkompetenz ausspielen. Wahlslogans wie: „Die Welt ist aufgeregt wie noch nie - komm zur Sozialdemokratie.“ oder „Angenehm fad - der Sozialdemokrat“ können die stolze - in der Bewegung erstarrte - Bewegung wieder ganz gemächlich auf die Siegerstraße zurückführen.
Ja, klingt verrückt.  Hat aber in Großbritannien gerade geklappt.
Dort ist mit Keir Starmer ein Mann Premierminister geworden, der so unglaublich langweilig ist, dass Menschen schon eingeschlafen sein sollen, während sie ihm die Hand geschüttelt haben.

Also: Langeweile! Das mögen die Leute!
Allerdings nur, wenn sie vorher 13 Jahre lang von völlig verrückt gewordenen Tories „regiert“ worden sind. Wer sich jetzt aber denkt, auf dem Kontinent kann das nicht passieren, der möge einen Blick auf den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werfen.

Aber es gibt ja auch noch andere Emotionen. Etwa: Bewunderung.
So viele Menschen möchten andere gerne anhimmeln, das ganze Pop-Business lebt von dieser Emotion. Und sehr viele dieser Karrieren zeigen auch: Man muß gar nichts können, um angehimmelt zu werden. Gutes Aussehen reicht völlig. Das wäre doch etwas für die Liberalen. Was Popsternchen können, können Liberale Lichtgestalten schon lange.
„Christian Lindner - so hübsch ist sonst keiner“ reicht doch als Slogan, wenn man gleichzeitig die die Merchandising Abteilung neu aufstellt. Statt den ewig gleichen Kugelschreibern und Luftballons gibt es dann Hotteres: Getragene Unterwäsche von C.L. vakuumverpackt und eine eigene Parfumlinie „Der Duft der Freiheit“, wo man danach gut nach Porsche riecht.

Ein anderes starkes Gefühl ist natürlich: Reue.
Ein Gefühl mit dem die katholische Kirche seit 2000 Jahren Wähler an sich bindet. Sogar ohne, dass die eine Wahl haben. Zeit für die Grünen auch in diese Kerbe zu schlagen.
„Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst in meinen Carport, aber sprich nur ein Wort und dann kauf ich mir ein Fahrrad.“ könnte der neue Wahlspruch für die Ökopartei werden. Sie bräuchten dazu nur sehr viel längere Plakate.
Viele kritisieren ja die Grünen und meinen, dass diese zu moralisch wären.
Na und? Die AfD oder die FPÖ ist ja auch von keinem einzigen Faschismus-Vorwurf linker und aufgeklärter geworden. Im Gegenteil: Die werden immer faschistischer.
Also es heißt vom Gegner lernen. Jetzt zeigen die Grünen mal wie Moralkeule wirklich geht.
Grüne Flagellaten ziehen durch die Lande und peitschen sich gegenseitig mit CO2-Zertifikaten aus… und das im überfüllten Regionalzug. Das gibt garantiert sehr viele Gefühle!

Auch ein sehr starkes Gefühl ist natürlich die Geilheit.
Und das ist naturgemäß das beliebteste Gefühl der Konservativen. Die nennen es gerne auch „Wollust“, weil sie ihre Triebe ja oft mit gewalkten Wollstoffen ummanteln.
Wie wichtig Geilheit für die Konservativen ist, hat schon Sebastian Kurz am Anfang seiner Karriere verstanden, als er das „Geilomobil“ erfunden hat (werte Leser ausserhalb Österreichs: nein, das ist kein Witz, hat er wirklich gemacht.). Aber auch Angela Merkel hat seinerzeit gezielt ihre weiblichen Reize eingesetzt. Nicht in der Tagespolitik natürlich, aber beim Jahrestreffen der Freunde der humorfreien Musikkonsumation in Überlänge (vulgo: Wagner Festspiele in Bayreuth), wo sich regelmäßig wirklich nur die verknöchertsten Geister einfinden, wusste die Bundeskanzlerin allfällige Kritik in einem großen Dekolleté verschwinden zu lassen.

Das lässt auf tolle Outfits von konservativen Stars hoffen. Man darf auf den österreichischen Bundeskanzler Nehammer in Lack und Leder gespannt sein oder auf Friedrich Merz in Reiz-Wäsche. Vielleicht sogar mit eigener Produktlinie: Die Merz-Wäsche mit Halbglatze zum Aufsetzen.

Man sieht: das Feld der Emotionen muß man nicht den Rechtsextremen überlassen.
Es ist im Gegenteil ganz unmöglich. Denn selbst wenn man das täte, würde man bei der Wählerschaft ein ganz besonderes Gefühl auslösen: Durst.
Dann wollen sich die Leute nämlich die Leute die Welt wieder schön saufen.

Insofern keine Überraschung, dass bei den nächsten Parlamentswahlen in Österreich eine Partei antritt, die sich nach einem alkoholischen Getränk benannt hat: Die Bierpartei.

Na dann: Prost, Mahlzeit.