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Der neue Glossenhauer

Es ist mir nicht Wurst

9. September 2024

Ich hab eine Neigung gegen Dinge zu sein, die ich nicht ändern kann.
Also den Klimawandel etwa. Mag ich nicht. Aber auch das Automobil.
Wie schön wären doch unsere Städte, wenn nur jene Menschen ein Auto besäßen, die auch wirklich eins bräuchten. Also: Polizei, Feuerwehr, Rettung, Müllabfuhr und … sonst niemand.
Dafür öffentliche Verkehrsmittel im Zwei-Minutentakt, 24h Stunden lang. Und das auch auf dem Land. Gut, ich weiß, am Land, da geht alles langsamer. Da reicht dann auch ein drei-Minuten Takt. Oder vier. Oder zehn.

Von sowas träume ich. Völlig verrückt. Bin nicht ganz dicht.
Da sind sich alle Autohausbesitzer einig.

Aber ich träume auch noch von anderen Sachen, die völlig aus der Mode sind: Demokratie und Antifaschismus etwa. Seit den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen weiß ich: Ich bin old school. Überhaupt ist es ja so, daß Überwachungskapitalismus a la Peking Ente und Chauvinismus mit russischer Seele jetzt total hip ist. Und beides kann man auf TikTok liken. Ja, aber ich mag’s nicht so.

Und was ich auch nicht mag, das ist der Donaudurchstich in Wien. Nein, das ist keine lebensgefährliche Messerattacke auf der Wiener Donauinsel, nein, der Donaudurchstich ist sozusagen die Donauinsel selbst. Also zuerst gab es den Donaudurchstich und etwa 100 Jahre später die Donauinsel. Früher hat sich die Donau nämlich nach dem Durchfluss zwischen Leopoldsberg und Bisamberg verzweigt und viele kleine Inseln gebildet. Also nicht eine große Donauinsel. Sondern viele kleine Donauinseln.
Das war schön, hat aber zu Überschwemmungen geführt.
Deshalb dann Donaudurchstich. Ganz gerade Donau. Zack. Hochwasser fließt vorbei. Nach Niederösterreich. Wo es hingehört. Effektiv, aber weniger romantisch. Find ich schade.

Aber bin auch nicht immer so.
Manchmal bin ich aber auch für Klarheit. Transparenz. Ganz klare Trennungen.

Bei der Currywurst etwa.
Die wurde dieser Tage angeblich 75 Jahre alt.
Und ich bin - trotz langjährigen Aufenthalts in Germanien… also äh… dem Altreich… nein… Piefkei… auch nicht, wie heißt das Land korrekt? Ach ja: Bei den Marmeladingern… kurz gesagt also: in der Bundesrepublik Deutschland - trotz dessen bin ich immer noch der Meinung das die Currywurst einzigartig ist.

Ja, sie ist nämlich das a-b-s-o-l-u-t Schlimmste, was man einer Wurst antun kann.
Denn die Wurst ist unter dieser Pampe überhaupt nicht mehr zu schmecken. Wer eine Currywurst anbietet, möchte die Wurst eigentlich zum Verschwinden bringen.
Kurz gesagt: Der Currywurstanbieter hat etwas zu verstecken.

Würste können Brüh- oder Bratwürste sein, unterschiedlich gewürzt, mit Knoblauch, mit Fenchel, aus Schwein, Esel oder vielleicht sogar aus Haustaube (wär zwar möglich, würde ich aber nicht essen). Es gibt ja auch schon vegane Wurst.

Die Wurst ist ein Kulturgut mit Charakter. Kann man mögen oder nicht. Manche mögen nur die eine und nicht die andere. Ich kenn sogar Hard-Core-Vegetarier, die keine Kompromisse machen, außer bei dieser einen Wurst. Da werden sie schwach.

Die Wurst ist also ein Kosmos. Von langweilig bis langlebig, von würzig bis mild, lang und dünn, dick und kurz, oder umgekehrt… die Wurst gibt uns alles.
Kann man alles ausprobieren.

Außer natürlich die Kackwurst. Das ist die AfD unter den Würsten. Nicht einmal anstreifen bitte. Aber die Würste, die man essen kann, sind großartig… wenn man sie lässt. Man kann natürlich auch Currysauce drüber knallen und alles schmeckt gleich. Eine kulinarische Beerdigung. Und dann gibt es nur noch eine Frage:
„Currywurst? Mit oder ohne Darm?“

Das zeigt doch, wo die Currywurst in Wahrheit zuhause ist.
Aber unter dieser rotbraunen Pampe ist das ja egal. Denn es schmeckt alles nur noch nach Curry. Es ist ein bißchen wie das BSW. Da schmeckt auch alles nach Wagenknecht. Und es weiß auch keiner, was da genau drinnen ist.

Und trotzdem streiten sich Menschen, wer die Currywurst erfunden hat. Ja, wer hat denn den Würsten im deutschen Sprachraum den Krieg erklärt? Das ist ja wie als würde man sich streiten, wer die letzte Seekuh oder den letzten Dodo umgelegt hat.
Aber das ist eben Aufmerksamkeits-Kapitalismus: Du brauchst einen Alleinstellungsmerkmal und wenn es noch so abartig ist.
Und dann trägt man es stolz mit sich herum.
Bis es plötzlich nicht mehr so cool ist.
Dann will man es los werden. Was nicht immer so leicht ist.

Kürzlich hab ich etwa gelesen:
„Diese Tatoos trägt heute niemand mehr.“
Und ich dachte mir: Doch. Nämlich all die Leute, die dem Artikel vor 10 Jahren geglaubt haben, der da hieß: „Diese Tatoos sind ein Must-Have!“

Ich bin lieber von vorn herein aus der Mode. Da kann ich in Ruhe gegen den Donaudurchstich sein. Muss auch keine Currywurst essen. Und träume von öffentlichen Verkehrsmittel, mit denen ich nach Thüringen fahre. Oder nach Sachsen. Und dort treffe ich Antifaschisten. Die gibt’s dort nämlich auch. Sind zwar aus der Mode, aber… egal.

Und dann essen wir sehr gute Bratwürste.
Und ich tu meinen Senf dazu.
Und sonst nichts.

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