Severin Groebners Newsletter
Groebners neuer Glossenhauer
Der neue Glossenhauer

Schon gehört?

29. Mai 2025

Dieser Newsletter kommt zu spät. Viel zu spät.
Aber ich musste mich erst erholen. Von den Nachrichten. Und den Reaktionen darauf.

Habt Ihr das gehört:
„Am Hamburger Hauptbahnhof sticht eine geistig verwirrte Frau um sich und verletzt mehrere Menschen, teilweise sogar sehr schwer.“

Das war die schreckliche Meldung.

Dann kamen die Reaktionen.

Da waren sofort Politiker in den Sozialen Medien, die gesagt haben: „Da muss man etwas tun! Das geht doch nicht so weiter! Das ist das Resultat sich unkontrolliert ausbreitender Frauenrechte, die in unserer Gesellschaft überhand genommen haben.“
Und dann waren auch gleich Männer aus der Öffentlichkeit zu hören, die meinten, sie würden sich tagsüber gar nicht mehr aus dem Haus trauen, weil das Straßenbild von Frauen dominiert wird. Frauen, von denen nicht wenige aggressiv wirkten.

Natürlich gab es kurz Einwände, dass diese Frauen vielleicht abgekämpft und müde wären, von der Doppelbelastung schlecht bezahlter Job und stressige Familie. Aber die wurden schnell zur Seite gewischt von einem beherzten Patriarchen, der im eleganten Anzug aufgestanden ist und mit sonorer Stimme gesagt hat: Man könne diese Probleme von gewaltorientierten Frauen in der Öffentlichkeit nicht mehr Kleinreden. Und auch das Argument, die Frau wäre geistig verwirrt, lasse er auch nicht gelten, schließlich wäre diese Verwirrtheit im Charakter des Weibes bereits angelegt.
Und dann hat er ein bißchen jovial gelacht.

Aber recht habe er, sagen daraufhin andere, Denn das Frauen, diese psychischen Herausforderungen haben, das würden nicht nur führende Biologisten und Incels sagen, nein, das sage einem doch der gesunde Männerverstand.

Da nimmt die Debatte Fahrt auf. Profilneurotische Prominente mit Testikeluntergrund fordern auf YouTube Männerschutzzonen. Ein Boulevard-Blatt titelt: „Kommt jetzt das Frauenverbot auf öffentlichen Plätzen?“ Einer prägt die Formulierung: „Wenn ich einen Handtasche sehe, habe ich Angst.“ Schließlich wisse er nicht, was da drinnen ist. Vielleicht Strickzeug? Mit langen langen Nadeln!?

Das ist eine gute Gelegenheit, dass auch andere, neue, unbekannte Gefahren entdeckt werden können. Stricken zum Beispiel. Dieser Trend des Knitting, der sich übers Internet immer mehrt verbreite. Schon hört man die besorgten Warnungen: Jugendliche kommen auf die Wolle. Handarbeitsunterricht ist eine Einstiegsdroge!

„Wir haben früher noch Karten gespielt, Schwule verprügelt oder einfach grundlos uns die Birne weggesoffen, heute fangt die Jugend dagegen immer öfter mit dem Stricken an.“ klagen um den Nachwuchs besorgte Burschenschafter.

Und dass das Ortsschild der oberösterreichischen Gemeinde Nitting regelmäßig von Unbekannten nachts entwendet werden würde, wäre da noch die harmloseste Entwicklung.

Gegenargumente dringen kaum mehr durch. Dass die Frau in Hamburg ja ein Messer und keine Stricknadeln verwendet hatte und obendrein geistig verwirrt war, interessiert da nicht mehr. Wer kennt schon den Unterschied zwischen Messer und Nadeln? Beides Gegenstände, die Frauen in diesem seltsamen Ritus der „Haushaltsführung“ verwenden. Echte Männer verstehen davon nichts - und wollen auch nichts verstehen.
Und wessen Oma selbst noch gestrickt hat, der schweigt jetzt besser verschämt.

„Strickverbote jetzt! Die Feminisierung unserer Jugend muss aufgehalten werden! Sonst ist Hamburg bald überall!“, schallt es da schon aus der AFD. Auf die Behauptung, dass die AFD mit Alice Weidel selbst eine Frau als Vorsitzende hat, reagiert die Partei mit einer Presse-Erklärung: Frau Weidel würde ja selbst auf Frauen stehen, wäre damit eigentlich ein echter Kerl. Man solle sich im Gegenteil mal lieber die Gleichstellungsbeauftragten dieser Republik genauer anschauen. Das wären doch die Menschen, die der aggressiven Ideologie der Gleichwertigkeit der Geschlechter und damit dem Messer- und Stricknadelterror den Weg bereiten würden. Gerüchte, dass die Attentäterin eine Stelle bei der Stadt im Bereich Familienbetreuung hatte, werden rasch widerlegt - und trotzdem weiter fleissig auf allen Plattformen geteilt.

Nach wenigen Tagen beginnen selbsternannte „Männerschutzbünde“ in den Innenstädten zu patrouillieren. Es kommt zu Übergriffen, wahllos werden Frauen jedes Alters niedergeschlagen. „Penistragende Europäer gegen die Feminisierung des Vaterlandes“ finden sich zusammen.

In Interviews stellen sich die lautstarken, gewaltbereiten Demonstranten als Opfer dar und fordern, Deutschland müsse endlich „von den Taliban“ lernen.
Und dann …

…ist Schluß.

Denn das habt Ihr natürlich nicht mitbekommen.
Hat ja auch nicht stattgefunden.
Und es gibt ja auch in Oberösterreich keine Gemeinde namens Nitting. Nein, die liegt in Frankreich.

Und auch sonst wäre so eine Reaktion undenkbar.
Denn nach diesen Maßstäben wären ja auch nach der Amokfahrt von Mannheim im März, bei der zwei Menschen getötet wurden und mehrere andere teilweise schwer verletzt, alle Autos verboten worden.

Oder nachdem im Mai in Berlin ein Polizist von Fussballfans bewusstlos geprügelt worden war, hätte man sicher auch sämtliche Fussballspiele abgesagt und die gesamte Sportart samt ihrer aktiven Sportler, Fans und Funktionäre polizeilich überprüft.
Und nach dem Mord an einer 30jährigen in Augsburg hätte es ja auch eine Rasterfahndung unter Einbeziehung aller Männern der gesamten Bundesrepublik gegeben.

Weil das nämlich jemand gefordert hätte.
Nur, das fordert keiner.
Das ist unsinnig. Geht ja nicht.

Also geht schon. Aber nur, wenn die verdächtigen Gewalttäter Ausländer sind. Oder Einwanderer. Oder Asylwerber. Dann geht’s.
Dann heißt es wieder: „Habt Ihr schon gehört? Da muss man etwas tun!“
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